Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
können Sie's sehen – immer, wenn es kam, steht über dem Tagesstrich ein Kreuz. Das erstemal war ich zu schwach, ich habe es kaum wahrgenommen und erst später das Brummen als einen Flugzeugmotor erkannt. Beim zweitenmal war ich nicht schnell genug, ich stand im Meer und angelte, und die Signalpistole lag oben an der Böschung. Das dritte Flugzeug haben Sie erlebt –«
»Es kostete Ihr Gesicht.«
»Das vierte könnte jetzt unsere Rettung sein … wenn ich Ihnen trauen kann, Shirley.«
»Ich werde über meinen Schatten und alle Vorschriften springen. Können Sie verstehen, was das heißt, einfach zu vergessen, daß Yul Perkins mit durchschnittener Kehle in einem Sack gefunden wurde? Ich habe die Mörderin und –«
»Fangen Sie schon wieder an, Shirley? Wäre Anne diese Bestie, für die Sie sie halten, hätte sie Ihnen nicht heißes Salzwasser, sondern Sand in den Rachen geschüttet, damit Sie endlich ersticken! Sie leben weiter, und eigentlich sollten Sie nicht aus Dankbarkeit den Kopf untern Arm nehmen, sondern mit mir Entlastungsmaterial für Anne zusammensuchen.«
»Wo, Sie kluger Redner?«
»Zum Beispiel bei James Perkins. Yul hat ihm seine Frau verführt und sie zum Selbstmord getrieben.«
»Der Bruderzwist als Motiv für eine Familientragödie. Das mag bei Ihnen in Europa, auf Sizilien oder Korsika möglich sein, aber nicht in der Südsee. James und Yul waren verfeindet, gut – aber für einen Mord reicht das nicht, ich habe das nachgeprüft, Bäcker. James hat ein Alibi, fester als unser verfluchter Baumstamm. Aber warum reden wir davon? Es ist vorbei. Sie haben mein Wort: Anne kann mit Ihnen verschwinden, wenn wir hier wegkommen. Ich gebe Ihnen eine Woche Vorsprung, ehe ich die Ermittlungen ganz langsam wieder aufnehme. Einverstanden?«
Er stand vor dem Stamm, in den Bäcker seine Tageskerbungen geritzt hatte, und zählte nach.
»Wohin wollen Sie überhaupt?«
Es klang beiläufig. Als er Bäckers abweisendes Gesicht sah, setzte er hinzu:
»Das ist eine private Frage, die nicht von meinem Polizistengehirn registriert wird.«
»Nach Auckland. Da habe ich mein Haus, meinen Beruf …«
»Wissen Sie, daß Sie Anne nie heiraten können?«
»Wieso denn nicht?«
»Weil sie Papiere braucht. Und die müssen Sie aus Nuku Hiva anfordern. Dort aber wird Anne als Mörderin gesucht. Sie können also die Papiere nie anfordern. Ohne Papiere keine Trauung. Es ist eine verfluchte Situation, Werner. Der beste Weg ist immer der gerade. Ein Prozeß, ein guter Anwalt, den besten, und wenn Sie ihn aus Paris einfliegen lassen, und wenn Anne unschuldig ist, ein Freispruch.«
»So, wie die Dinge jetzt liegen, wird niemand sie freisprechen.«
»Das ist ja meine Rede.«
»Also, was soll der ganze Blödsinn? Wir werden in irgendeinem Winkel der Welt zusammenleben, ohne uns auf den Stempeln eines Standesamtes auszuruhen.« Bäcker sah Shirley plötzlich erstaunt an und schlug sich dann mit der flachen Hand vor die Stirn. »Shirley, wir reden und reden und merken gar nicht, wie wir damit die Wirklichkeit zerreden. Wir leben auf Viktoria-Eiland, auf einer souveränen Insel, im kleinsten unabhängigsten Staat der Welt. Eine vollkommene Demokratie von drei Menschen. Ein intaktes Staatswesen mit der ehrlichsten Verfassung, die es je gegeben hat und auf die ich Sie und Anne nachher vereidigen werde. Diese Verfassung besteht nur aus einem einzigen Satz: Jeder Mensch auf Viktoria-Eiland hat so zu leben, wie er es selbst von anderen Menschen erwartete. Ein Repräsentant dieses Staates Viktoria-Eiland hat aber auch das Recht, Trauungen vorzunehmen. Shirley, ich ernenne Sie hiermit zum Standesbeamten von Viktoria-Eiland. Ihre erste Amtshandlung wird sein, Anne und mich zu trauen.«
»So etwas hätte ich mir eigentlich denken können«, sagte Shirley und streckte sich aus. Er lag im Schatten der Böschung. Anne war hinunter zum Meer gegangen und lauerte in der Lagune mit dem Bambusspeer auf große Fische. Sie hatte eine bemerkenswerte Fertigkeit entwickelt, blitzschnell zuzustechen und die zappelnde Beute an Land zu tragen. Es war jetzt die beste Zeit für eine solche Jagd. Das Wasser lag fast glatt, man konnte die silbernen Fischleiber schon von weitem sehen, und wenn man bewegungslos dastand, bis sie nahe genug herangekommen waren, konnte man den Speer vorschnellen lassen, und ehe die Fische darauf reagieren konnten, waren sie aufgespießt. Diese Art von Tod kannten sie einfach nicht.
»Das ist der gleiche Blödsinn wie Ihre
Weitere Kostenlose Bücher