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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Albatros; die Anklage gegen Anne; Ihre Gegenwart, Shirley …«
    »Dann bringen Sie mich doch um!« schrie Shirley. »Los! Machen Sie schon! Warum zögern Sie noch? Es gibt keine Zeugen, niemand weiß, daß ich hier angeschwemmt worden bin, Anne kann allein an Land gekommen sein. Nicht ein Fetzen wird von mir übrigbleiben, wenn Sie mich von den Klippen hinabwerfen zu den Haien. Perfekter kann man keinen Menschen umbringen. Nicht einmal wehren kann ich mich … die Pistole ist zur Attrappe geworden. Aber überlegen Sie sich eins: Dann sind Sie endlich mit Anne allein. Es gibt keine Paradiese mehr. Auch nicht Ihre verfluchte Insel! Zwei Menschen allein, völlig allein, zehn, zwanzig, dreißig Jahre lang – allein! Das hält keiner aus – auch Sie nicht. Da stirbt jede Liebe, da beginnt man sich gegenseitig zu hassen, da nisten sich in den Runzeln Mordgedanken ein, da ist man sich eines Tages so über, daß man kotzen könnte, wenn man den anderen nur von weitem sieht, da ist jedes Wort miteinander ein Schlag in die Fresse! Kennen Sie Sartre? Haben Sie die ›Geschlossene Gesellschaft‹ gesehen? Die Hölle ist in uns, sagt er … da machen auch Sie keine Ausnahme, selbst wenn Sie als Heiliger geboren sein sollten! Kein Mensch kann eine so absolut einsame Zweisamkeit ertragen!«
    »Das weiß ich … und darum bauen wir an unserem Einbaum weiter.« Bäcker strich die schwarzen Haare von Annes Gesicht und küßte ihre Augen.
    »Ich werde dich nie hassen«, sagte sie so armselig, als bettelte sie um ein Stück Brot. »Nie! Nie! Ich liebe dich. Immer liebe ich dich …«
    »Es geht nicht um uns«, sagte Bäcker. Er wickelte Anne aus dem SOS-Tuch und rollte es zusammen. »Shirley muß zurück zu seiner Frau und den Kindern. Wir allein würden es vielleicht aushalten. Ich würde mit dir hierbleiben. Wir leben … das ist genug. Hier gibt es keine sinnlosen Kriege und heuchlerischen Ideologien, keine leertönenden Politiker und in die Dummheit verbissene Probleme, keine Jagd nach Wohlstand und keine Steuern, um Rüstungen zu finanzieren, keinen Neid und keine Mißgunst, kein Profitgangstertum und keine Lüge. Hier gibt es nur dich und mich, das Meer, die Sonne, den Himmel, den Regen und den Wind, den Tag und die Nacht. Für uns wäre das genug! – Übrigens, wir sind nicht allein. Sie vergessen Annes Kind!«
    »Das stimmt«, sagte Shirley. »Sie beginnen ja hier mit der Bevölkerung. Aber Ihre Lebensphilosophie ist zum Kotzen!«
    »Es stimmt, sie hat einen Haken: Sie sind da! Und wir müssen Sie nach Hause bringen. Dazu brauchen Sie mich. Ich muß also die Verantwortung tragen – auch für Ihre Frau und Ihre drei Kinder, Paul.«
    »Reden Sie so einen Quatsch wirklich im Ernst?« fragte Shirley mit schiefem Lächeln.
    »Ja.«
    »Der heilige Bäcker! Oder haben Sie den Verstand verloren?«
    »Würden Sie anders handeln, Shirley?«
    Shirley schwieg. Er wandte sich ab und ging langsam hinunter zum Meer.
    »Warten Sie, heiliger Shirley!« rief Bäcker und hinkte ihm nach. Er mußte sich dabei auf Anne stützen, das Bein schmerzte wieder bis hinauf zu den Hüften. »Warum flüchten Sie ans Wasser?«
    »Mir ist nach Wasser zumute, Werner.«
    »Und mir nach Feuer! Hinauf in den Wald! Wir arbeiten weiter an unserem Einbaum!«
    Es war eine verfluchte Arbeit, den Stamm Zentimeter um Zentimeter vorwärtszuhebeln, bis er endlich am Rande der Böschung lag. Neun Tage brauchten sie dazu – am zehnten gaben sie ihm den letzten Stoß. Er kippte über den Rand und stürzte hinunter in den Sand.
    »Hurra!« schrie Shirley und warf die Arme hoch. »Hurra! Er hat kapituliert!« Er ließ sich auf die Erde fallen und lag flach auf dem Rücken wie eine umgedrehte Schildkröte. »Wissen Sie, daß ich Sie neun Tage lang gehaßt habe, Werner?«
    »Ja. Ich mich auch. In meinem Bein habe ich kaum noch Gefühl. Aber jetzt sind wir durch! Morgen geht's weiter mit der Bearbeitung des Stammes.«
    »Übermorgen, Werner. Ich möchte einen Tag und eine Nacht schlafen. Schlafen, ohne davon zu träumen, mit einem Knüppel eine ganze Welt vor mich herzustoßen. Gönnen Sie uns einmal ein tiefes Atemholen –«
    Einen ganzen Tag lang lag Shirley wirklich in der Hütte und döste vor sich hin, bummelte zum Meer, badete ausgiebig und sagte hinterher: »Je mehr ich schlafe, um so müder werde ich. Werner, Sie haben mich restlos geschafft!«
    Bäcker und Anne sammelten unterdessen Kleinholz und Reisig, trockneten es in der Sonne und stapelten es an der Böschung.

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