Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Der Baumstamm war natürlich mit der schon eingekerbten Seite nach unten gestürzt und mußte erst wieder umgedreht werden. Im tiefen, pulverfeinen Sand würde das eine Mordsarbeit sein, der Stamm würde sich trotzig in den Sand hineinwühlen, und es würde einen gewaltigen Aufwand an Kraft und Zähigkeit erfordern, um diesen Widerstand zu brechen.
Shirley ahnte das, nachdem er den Stamm besichtigt hatte … er stand am Abend seines verbummelten Tages an dem Baum, sah ihn düster an und spuckte auf ihn.
»Teufel!« sagte er. »Ich hätte nie gedacht, daß ein Baum einen Menschen bezwingen kann.«
Am späten Abend saßen sie alle drei vor der Hütte, beobachteten das Meer, das nach dem kurzen abendlichen Regen zu tanzen schien, sahen zu den Sternen auf und atmeten tief die Kühle der hereinbrechenden Nacht.
»Wie fühlen Sie sich, Anne?« fragte Shirley plötzlich.
»Gut«, antwortete sie.
»Das Kind?«
»Übernächste Woche muß es sich zum erstenmal bewegen.«
»Das ist ein tolles Gefühl, was?«
»Ich kenne es nicht. Es ist mein erstes Kind.«
»Es ist wunderbar.« Shirley starrte in die Sterne. »Ich habe das dreimal erlebt. Bei jedem Kind habe ich das Ohr auf Bettys Leib gelegt und dann den Atem angehalten. Man kann es hören, das Kind, Anne. Man hört es deutlich, wie es im Leib rumort. Und man weiß: Das ist mein Kind da drinnen. Das ist unbeschreiblich … Werner?«
»Ja, Shirley?«
»Ich frage Bettys und der Kinder wegen: Schaffen wir es mit dem verdammten Einbaum?«
»Wir schaffen es.« Bäcker nickte und legte Shirley den Arm um die Schulter wie einem guten Freund. »Wir müssen es einfach schaffen. So schön diese Insel ist … ich sterbe nicht gerne unter Palmen …«
XV
Es war gegen Morgen, als Bäcker durch eine unerklärliche Unruhe geweckt wurde. Anne lag neben ihm, wie immer nackt und an ihn gekuschelt, und er hatte Mühe, sich von ihr zu lösen und wegzurollen, ohne sie im Schlaf zu stören.
Vorsichtig und so lautlos es möglich war, verließ er die Hütte, stieg über Shirley hinweg, der eingerollt in seine Decke dicht an der Wand lag, und blickte in die aufsteigende Dämmerung.
Bäcker kannte diese frühen Morgen, diese vom zarten Blau in Gold überfließende Unendlichkeit, die Sonne und Hitze und ein spiegelndes Meer versprach.
Was ihn aus der Hütte getrieben hatte, konnte er sich nicht erklären. Es war ein plötzliches Aufschrecken gewesen, eine unbewußte Reaktion, der Alarm eines auch im Schlaf nicht ruhenden Instinktes.
Vor ihm lag der Strand, breit jetzt während der Ebbe. Dort, wo das Meer zurückgetreten war, übersäten Muscheln und Krebse das Ufer. Ein gedeckter Tisch für die Vögel, die in den Felsen nisteten. Bei Sonnenaufgang strichen sie in schreienden Wolken über die Insel hinweg.
Bäcker hinkte hinunter zum Meer. Und wie damals, als Shirley und Anne angeschwemmt worden waren, sah er auch jetzt von weitem wieder die Abdrücke von Füßen. Spuren von Menschen, tief in den nassen Sand getreten.
Er lief auf die Abdrücke zu, kniete nieder und untersuchte sie. Es waren nackte Füße – er sah Ballen und Fersen, den Eindruck der Zehen, und sie mußten schnell und leichtfüßig gelaufen sein, denn die Spuren lagen weiter auseinander als bei einem normalen Schritt.
Nackte Füße bedeuteten Eingeborene. Bedeuteten ein Boot, vielleicht sogar einen Katamaran mit einem Segel. Bedeuteten die Freiheit!
Füße! Menschen auf dieser Insel!
Auch wenn ihr Boot zu klein war, um jemanden mitzunehmen, sie konnten Nachricht geben, Hilfe holen.
Die Welt war zu ihnen gekommen!
Bäcker lief den Spuren nach, aber nach hundert Metern endeten sie im Meer. Bäcker ballte die Fäuste.
»Warum seid ihr weggefahren?« schrie er ins Meer hinaus. »Ihr habt uns doch gesehen! Ihr habt hier gestanden und hinüber zur Hütte gestarrt. Hier … hier habt ihr gestanden. Viele Spuren … Warum seid ihr weg?!«
Oben an der Hütte erschien Shirley. Er hielt den Bambusspeer in der Hand und rannte hinunter zu Bäcker, der mit seinem verkürzten Bein die Spuren im Sand verwischte.
»Sind Sie verrückt geworden?« fragte Shirley, als er Bäcker erreicht hatte. »Sie haben mich wachgebrüllt! Was toben Sie hier draußen herum?«
»Hier waren Menschen!« sagte Bäcker. Plötzlich war ihm elend zumute. »Sie sind hier gelandet, haben unsere Hütte gesehen und sind abgefahren, ohne einen Laut zu geben.«
»Mein Gott, ja!« Shirley untersuchte die Abdrücke. »Eingeborene. Welch ein Glück, daß
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