Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Logik.«
»In der Nacht regieren die Geister der Ahnen. Kein echter Krieger tötet in der Dunkelheit. Sie werden es nicht glauben, aber diese Eingeborenen haben so etwas wie einen kriegerischen Ehrenkodex. Darin sind sie kultivierter als wir hochzivilisierten Menschen. Wir töten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Je dunkler, desto besser. Nein, Werner … die kommen wieder, wenn es Tag ist, und wir werden ihre blanken, braunen Körper in der Sonne leuchten sehen wie poliertes Kupfer. Ich habe das einmal erlebt, allerdings als Show bei einem Staatsbesuch. Vierhundert Kriegsboote, im gleichen Takt gerudert, und dazu der rhythmische, anfeuernde Gesang. Eine schrecklich-schöne Glocke aus tausend grölenden Kehlen. Das ging unter die Haut, sage ich Ihnen.«
Shirley atmete tief und zeigte auf den im gleißenden Morgenlicht weißblendenden Sand.
»Legen Sie Ihre Binde vor die Augen, Werner, sonst sind Sie in einem halben Jahr blind, das wette ich! So, und nun sagen Sie, was wir machen sollen: Bootsbau oder Rüstungsbetrieb? Sie sind der Boß!«
»Bootsbau!« Bäcker band sich den Gittervorhang vor die lidlosen Augen. »Was nützen uns Waffen? Wenn sie mit zehn Booten kommen, um uns umzubringen … haben wir da noch eine Chance?«
»Nicht die geringste. Aber ich will mich verteidigen. Ich bin kein Schaf, das freundlich seinen Schlächter anblökt und dann umfällt. Wenn getötet werden muß, dann mache ich mit! Sie denken da anders, was?«
»Ja. Wenn wir wirklich keine Chance haben, sind drei Tote genug. Aber diskutieren wir nicht darüber. Fangen wir an, den Stamm in die richtige Lage zu rollen. Wenn die Boote zurückkommen, bleibt uns immer noch der Weg des Verhandelns. Gehen wir, Paul …«
»Sie befehlen hier! Abgemacht, ans Boot! Junge, Sie haben vielleicht Nerven!«
Bäcker hinkte zu dem Hang und stieg hinauf in den Wald.
Shirley zog sich aus, ging hinunter zum Meer, schwamm im seichten Wasser der Lagune, kam dann zurück, spülte das Salz mit Regenwasser ab und setzte sich nackt unter das geflochtene Palmendach. Anne hatte sich unterdessen angezogen und das Frühstück gemacht. Kalter Braten und Tee.
Dieser Tee war eine Erfindung von ihr. Sie hatte einen Busch entdeckt, den auch Shirley nicht kannte, aber dessen getrocknete Blätter, mit heißem Wasser aufgebrüht, eine braunrote Flüssigkeit ergaben, die etwas säuerlich und sehr würzig schmeckte. Ein gutes Getränk, wie Shirley lobte. Da keiner bisher durch diesen Tee vergiftet worden war oder einen Durchfall bekam, nannte man den Sud ›Viktoria Orange Pekoe‹.
»Da die Feinschmecker außerhalb unseres Paradieses alles fressen und saufen, was irgendwie exotisch klingt, könnten Sie damit einmal den Export von Viktoria-Eiland ankurbeln«, sagte Shirley. »Sehen Sie, so wächst man automatisch in die Weltmächte hinein: Export, geregelte Finanzlage. Eines Tages kommt jemand, der Ihnen das hier alles neidet und Sie kurzerhand überfällt. Dann ist das Leben wieder normal! – Anne, Ihr Tee ist vorzüglich …«
Jetzt kam Bäcker vom Wald zurück, er hinkte stärker, es war ihm, als schrumpfe sein Knochen immer mehr zusammen, je fester er zusammenheilte. Ob es so etwas gab, wußte er nicht – er hatte Häuser gebaut, aber sich nie um Knochen gekümmert.
Er blieb vor Anne stehen, die neben dem Teekesselchen saß, und blickte auf sie herunter.
»Hast du Angst?« fragte er plötzlich.
»Nein.« Sie sah zu ihm hoch und versuchte ein klägliches Lächeln. Ihre Augen sagten etwas anderes.
»Warum?« fragte Shirley und kaute an einem Fleischstück. »Warum sollte sie Angst haben? Angst ist Luxus. Wenn wir uns schon abschlachten lassen, dann wollen wir uns bemühen, so schnell wie möglich die Besinnung zu verlieren und nicht mit Heldenmut um uns schlagen. Es stirbt sich leichter, wenn man vom Sterben nichts spürt.« Er tat einen tiefen Schluck aus dem Blechbecher und sah dann ebenfalls Bäcker mit plötzlichem Mißtrauen an. Er hielt mit dem Kauen so abrupt inne, als sei ihm der Bissen im Hals steckengeblieben.
»He! Was soll die Frage? Sie kommen vom Hügel! Tauchen die Boote etwa schon am Horizont auf?«
»Nein.« Bäcker griff nach rückwärts. Dort lehnte an der Böschung sein langer, spitzer Bambusspeer. »Hinter dem Felsen, in der Bucht, liegt ein Toter …«
Shirley sprang auf und warf dabei sein Fleischstück in den Topf zurück. Die Mitteilung schien ihn mehr zu erregen, als Bäcker sie für alarmierend hielt.
»Ein Weißer?« rief
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