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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Werner. Auch diese Insel wird von Frauen regiert. Aber ich bin Beamter der Mordkommission von Papeete. Ich habe eine Dienstpflicht zu erfüllen. Und darum gehe ich allein. Nur eine Bitte: Tun Sie mir einen Gefallen. Wenn ich in einer Stunde nicht wieder auftauche und wenn Sie später mit Ihrem verdammten Einbaum wirklich von der Insel wegkommen, dann erzählen Sie meiner Betty, daß ich verunglückt bin. Es wird Ihnen schon etwas einfallen. Vom Felsen gestürzt oder so. Aber sagen Sie ihr nie, daß mich Eingeborene erschlagen haben. Das wäre fürchterlich für sie.«
    »Warum reden Sie eigentlich so massenhaft Blödsinn, Shirley? Wir gehen alle zusammen. Auch Anne!«
    Bäcker machte den ersten Schritt. Anne hing noch an seinem Hals, aber sie ließ ihn sofort los und küßte ihn. Ihre Lippen waren kalt und zitterten. »Los! Je länger wir reden, um so größer wird unsere innere Feigheit. Wir sind doch feig, Shirley, nicht wahr?«
    »Und wie!« Shirley umklammerte das Beil und ließ es in der Hand wippen. »Noch eins, Werner.«
    »Ja?«
    »Ich bin froh, Sie kennengelernt zu haben.« Er räusperte sich. »Verdammt, lassen Sie uns jetzt endlich losziehen …«
    Der Tote lag noch immer im Sand. Er hatte die Arme ausgebreitet, so, als sei er vor einer Gottheit demütig auf das Gesicht gestürzt und dann von einem himmlischen Strahl erschlagen worden. Die Wolke der Raubvögel flog kreischend hin und her, wie auf ein Kommando wendete sie an den Enden ihrer Flugstrecken, exerziermäßig, exakt, ein erstaunlicher Anblick. Aber keines der Tiere stieß als erstes auf den Toten herab und hieb den gebogenen, messerscharfen Schnabel in den Körper des Menschen.
    Shirley, Bäcker und Anne standen oben auf dem Hang und warteten. Die laufende Flut hatte die Fußspuren im Sand verwischt, nur um den Toten herum war der Boden festgetreten. Der Körper war so weit an Land gelegt worden, daß das Meer ihn nicht erreichen konnte, aber doch so frei von jedem Schatten, daß die Sonne den Leib auflösen mußte.
    »Jetzt werden wir es gleich sehen«, flüsterte Shirley. »Wenn sie drüben hinter den Klippen hocken, bieten wir ein Ziel wie auf einem Schießstand. Die Kerle sind fabelhafte Bogenschützen. Ich habe einmal gesehen, wie einer auf fünfzig Meter einen dollargroßen Punkt traf. Packen wir es, Werner!«
    Sie traten aus dem schützenden Wald und dem Dornengebüsch heraus und rutschten den flachen Hang hinunter. Anne nahmen sie zwischen sich. Unten warteten sie, tasteten mit Blicken die Umgebung ab und sahen nur das Meer, kahle Felsen, die Nistkolonien der unzähligen Vögel, die Kothügel, den gelben Sand und das Treibholz, das gegen die Felsen schlug. Die Vogelwolke kreischte wieder heran und exerzierte ihre zackige Wendung.
    Bäcker war der erste, der das freie, ungeschützte Ufer betrat. Anne folgte ihm sofort, Shirley riß seine Pistole aus dem Gürtel, dieses ungeladene, sinnlose Ding, das ihm trotzdem merkwürdigerweise Mut gab.
    Nach zehn Schritten stieß Anne einen hellen Schrei aus. Sie blieb ruckartig stehen. Auch Bäcker und Shirley sahen es nun und begannen zu laufen.
    »Eine Frau!« schrie Anne. »Das ist ja eine Frau …«
    Die Tote lag mit dem Gesicht auf ihrem Haar, und man hatte es vom Hang aus nicht erkennen können. Jetzt aber sah man deutlich den Ansatz der Brüste, die Rundungen der Hüften und die schmalen Schultern. Die Beine waren schlank, mit dünnen Fesseln und kleinen Füßen. Das Gesicht war tief in den lockeren Sand gedrückt; man hatte ihren Kopf gewaltsam in den Boden gepreßt.
    Shirley breitete die Arme aus und hielt damit Bäcker und Anne zurück.
    »Das müssen wir uns genau ansehen«, sagte er heiser. »Entweder ist das ein Fememord, oder an der Frau wurde ein Todesurteil vollstreckt! Daß man sie nicht begraben hat, sondern hier der Sonne aussetzt und den Vögeln vorwirft, macht mich nachdenklich.«
    »Warum hat man sie nicht einfach ins Meer geworfen?« fragte Bäcker.
    »Zu den Haien! Nie! Die Haie sind die verhaßtesten Feinde der Polynesier. Und da sie davon überzeugt sind, daß jeder Mensch eine Seele hat, würden sie nicht einmal ihrem Feind wünschen, daß diese Seele in einem Hai weiterleben muß. Man kann mit einem Toten alles machen, sogar auffressen darf man ihn – aber nie den Haien vorwerfen! Verdammt, eine Frau.« Er blickte sich um. »Wir brauchen keine Angst zu haben, daß man uns auflauert.«
    Er trat an die Tote heran und beugte sich über sie. Aber er faßte sie noch nicht an.

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