Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
es war kein Triumph in seiner Stimme. »Wie's auch kommt – ich werde Betty und die Kinder wiedersehen. Tut mir leid, Werner.«
»Einen mußte es treffen, Paul. Aber kein Wort zu Anne. Wenn ich über Bord gehen muß, müssen wir Anne vorher irgendwie betäuben. Hinterher können Sie erzählen, ich hätte das Gleichgewicht verloren.« Er packte Shirley plötzlich an den Schultern und zog ihn zu sich heran. Sie standen so eng zusammen, daß ihre struppigen Bärte sich berührten. »Paul –«, sagte Bäcker leise. »Gott, der Teufel oder sonstwer hole Sie, wenn Sie nicht für Anne und das Kind sorgen. So sorgen, als sei es Ihr eigenes. Versprechen Sie mir das!«
»Daß Sie daran noch zweifeln, Werner!«
»Und die Mordanklage gegen Anne?«
»Für mich ist Anne keine Mörderin mehr.«
»Dann kann es losgehen, Paul.« Bäcker blickte über das silbern glänzende Meer. »In sechs Stunden läuft die Ebbe … wir sollten versuchen, vorher noch etwas zu schlafen.«
Als sie zur Hütte zurückkamen, saß Anne vor der Tür, die Knie angezogen, und es sah aus, als badete sie sich im Mond. Trotz ihres gewölbten Leibes wirkte sie noch immer zierlich und zerbrechlich.
»Ich schlafe draußen –«, sagte Shirley und wandte sich ab. »Es ist Ihre letzte Möglichkeit, Anne zu lieben. Im Einbaum auf dem Meer werden Sie andere Gedanken haben.«
Er entfernte sich seitwärts, legte sich eng an den Hang und streckte sich aus.
Bäcker zog Anne an den Händen hoch, legte den Arm um sie und ging mit ihr in die Hütte. Es war so viel Zärtlichkeit in seiner Bewegung, daß Shirley voller Schmerz schnell die Augen schloß.
XVIII
Um fünf Uhr morgens schoben sie den Einbaum ins Wasser, so weit hinaus, daß sie bis zur Brust in den sanften Wellen standen. Anne saß schon im Boot. Die Decken, das Trockenfleisch und der Wasservorrat waren fest vertäut.
Bäcker hatte die Gewichtsverteilung genau berechnet: hinten Anne mit dem Material, in der Mitte beim Segelmast Shirley, vorne er, weil er der schwerste war. So wurde hinten und vorne die Balance ausgeglichen, während Shirley wie das Zünglein an der Waage war.
Sie merkten deutlich, wie der Sog der Ebbe sie ins Meer hinaustrieb. Als die beiden Paddel aus dem Gummiboot ins Wasser tauchten und das Segel in den jetzt noch schwachen Wind drehten, blickten sie noch einmal zurück und waren erstaunt, wie weit sich der flache Strand mit dem Sand und dem Korallenstaub schon von ihnen entfernt hatte. Im blanken Morgenlicht lag die kleine Hütte. Aus der Feuerstelle ringelte sich noch der dünne Rauch. Die gelborange Gummiinsel leuchtete aufgespannt zwischen den Pfählen.
»Nicht zurückblicken!« sagte Bäcker laut. »Das ist nun vorbei. Endgültig vorbei!«
Und sie tauchten die Paddel in das Meer, in dem sich die frische, messingfarbene Sonne badete.
Eine halbe Stunde lang ruderten sie mit der Ebbe, freuten sich, als ein frischer Morgenwind aufkam und das geflochtene Segel blähte. Es war eine Meisterarbeit Annes, wie ein gehäkeltes grünes Tuch sah es aus, und auch der Wind schien sich zu freuen, denn er hinterließ einen fröhlichen, singenden Ton, wenn er durch die grobgeflochtenen Maschen wehte.
Die drei einsamen Menschen in dem schmalen Boot konnten nicht anders … sie blickten doch zurück. Irgendwie blieb etwas auf dieser Insel zurück, ein durchaus nicht wertloser Teil ihres Lebens: viel Schweiß und Verzweiflung, eine herrliche Liebe und eine Verwandlung ihrer Wesen, eine unbeirrbare Hoffnung und ein überwundener Haß, vor allem aber der unbesiegte Glaube an das Gute im Menschen.
Die Insel lag hinter ihnen wie ein gewölbter, bemooster Schildkrötenpanzer. Die Bäume wirkten wie Stacheln, und der Sandstrand tauchte immer stärker in der Dünung unter.
»Sie ist verdammt flach«, sagte Shirley. »Wir haben das gar nicht bemerkt.«
»Sie war unüberwindlich hoch, als mich mein Bein töten wollte«, sagte Bäcker. »Ich habe damals nicht damit gerechnet, jemals diese kleine Böschung hochzukommen.«
»Und dann haben Sie sogar ein Boot gebaut. Es ist kaum zu begreifen, wozu ein Mensch fähig ist.«
Shirley hielt den Strick fest, an dem das Segel aufgezogen war. Der Wind war kräftig, und sie machten gute Fahrt.
»Ich nehme an, Sie fliegen sofort nach Auckland und von da nach Sydney. Das wäre das erste, was ich an Ihrer Stelle täte: mich sofort auf den Operationstisch legen und mir Bein und Gesicht in Ordnung bringen lassen. So, wie Sie jetzt aussehen, lassen alle sofort die
Weitere Kostenlose Bücher