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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Riesengötze glänzte furchterregend in der Morgensonne … und ihm zu Füßen hockte Rainu, klein, in sich zusammengesunken, ein Haufen armseliger Opferbereitschaft. Sie hatte das verwelkte Blütenkleid wieder übergezogen und wartete geduldig auf ein Zeichen des Himmels.
    Taumelnd vor Freude, aber gleichzeitig entsetzt von Rainus rätselhaftem Willen, sich zu opfern, rannte er den Abhang hinunter und sah, daß Rainu sein Floß nicht benutzt hatte. Es lag in der Grotte, so, wie er es festgebunden hatte.
    Sie ist über den Meeresarm geschwommen, durchfuhr es ihn. Sie ist hinübergeschwommen und hat gewußt, daß die Haie auf sie lauern würden. Sie hat sich ins Meer geworfen, bereit, auf irgendeine Weise zu sterben, weil man es ihr befohlen hatte.
    Ein kalter Schauer durchrann ihn. Er band das Floß los, paddelte wie wild hinüber zur Insel, stürmte den Strand hinauf und riß Rainu von dem Götzen weg.
    Sie sah ihn mit großen, leuchtenden Augen an, und plötzlich weinte sie. Das war für ihn ein so erschütternder Anblick, war so ungeheuerlich und beruhigend zugleich, daß er sie an sich preßte und dann ihren Kopf zwischen seine Hände nahm.
    Sie weint, dachte er. Und er wußte, daß sie um ihn weinte, um ihre zum Unglück verurteilte Liebe, um die Hoffnungslosigkeit eines Lebens zwischen Gottheit und Mensch.
    »Du gehörst zu mir, Rainu«, sagte er und küßte ihr die Tränen von den schwarzen Augen. »Nur zu mir, Rainu! Wenn wir uns lieben, sind wir stärker als die Götter!«
    Er führte sie an der Hand wieder hinunter zum Floß, und sie folgte ihm ohne Widerstand. Sie paddelte mit, als sie die Meerenge überwanden. Auf Viktoria-Eiland half sie ihm, das Floß zu vertäuen, folgte ihm wie eine demütige Frau auf die Insel und setzte sich dann auf den Rand des Kellers. Als er sie wieder küßte, warf sie die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn.
    Um die Mittagszeit segelten zwei Katamarane auf Anne-Eiland zu. Sie brachten den ersten Toten. Ein Medizinmann begleitete den Leichentransport. Er wollte sehen, ob der Gott das Menschenopfer schon angenommen hatte.
    Die Riesenfratze stand einsam auf der Insel. Zwischen den Säulenbeinen lag nur noch zerrissen und verwelkt das Kleid aus Tiare- und Frangipaniblüten.

XIV
    Rainu und Paul Bäcker lagen auf der Erde, geschützt durch aufgeschichtete Palmblätter und die von dem Taifun abgedrehten Baumstümpfe, und sahen hinüber nach Anne-Eiland. Der Medizinmann lief unruhig um den Götzen herum, rannte zum Meer, schrie den Totenträgern etwas zu und stürzte dann zum Opferplatz zurück. Die Träger ließen die Leiche in den Sand fallen, sanken auf die Knie und drückten die Stirnen in den Boden. Für sie war das Verschwinden Rainus ein überirdisches Wunder, das sie mit demütiger Angst erfüllte: Die Geister hatten Rainu zu sich geholt … spurlos.
    Für den Medizinmann war es allerdings kein göttliches Rätsel … er kletterte die höchste Erhebung von Anne-Eiland hinauf und begann zu suchen. Dann legte er beide Hände wie einen Schirm über die Augen und starrte hinüber zu der alten zerstörten Toteninsel.
    Paul Bäcker und Rainu drückten sich an die Erde und rührten sich nicht unter den getrockneten, abgerissenen Palmblättern. Von Anne-Eiland aus mußten sie unsichtbar sein, auch für ein so scharfes Auge, wie es die Eingeborenen besaßen.
    Wenn sie herüberkommen, dachte Bäcker, werde ich sie alle töten müssen. Auch der Freundschaftsdolch der Großen Sechs hilft mir jetzt nichts mehr … ich habe gegen ihre Götter gekämpft, habe ihnen ihr größtes und schönstes Opfer weggenommen … das ist nicht mehr zu verzeihen. Für Rainu aber könnte ich gegen eine ganze Welt kämpfen und sie vernichten. Sie ist das Wertvollste, was mir diese Erde geschenkt hat.
    Er schauderte vor seinen zerstörerischen Gedanken und begriff plötzlich das alles beherrschende Wunder, das damals seinen Vater überfallen haben mußte, als er Anne zum erstenmal sah.
    »Bleib ruhig liegen, Rainu«, flüsterte er und griff nach ihrer zitternden Hand. »Ganz ruhig, niemand kann uns sehen.«
    Die Sonne glühte auf die schutzlosen, nackten Inseln, das Meer schien zu verdampfen. Zwischen Viktoria-Eiland und Anne-Eiland stand über der Meerenge ein flimmernder, dunstiger Vorhang aus heißer Luft. Alle Konturen verschwammen.
    Nach langem Zögern kletterte der Medizinmann zurück zum Opferplatz, die Träger trugen die Leiche zu dem Riesengötzen, legten sie zu seinen Füßen nieder und liefen

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