Wer viel fragt
etwas schuldete, weil ich dafür gesorgt hatte,
daß er den Fall wiederbekam.
Miller war nicht schwer
ausfindig zu machen. Es gibt niemanden, der seine Anwesenheit deutlicher
kundtut als ein Mann, dem man einen großen Fall weggenommen hat, der
aber glaubt, es könne eine ganz leise Hoffnung bestehen, ihn
wiederzubekommen. Ich war seine Hoffnung. Wirklich rührend, und ich
konnte ihn immer noch zusätzlich damit unter Druck setzen, daß
ich von seinen Autodiebstählen als jugendlicher wußte.
Gartland überließ
mich ihm nur widerwillig. Und sein Widerwille wuchs, als er herausfand, daß
ich allein mit Miller reden wollte. Aber zu guter Letzt scheuchten wir die
überflüssigen Uniformen weg und hatten einen freundschaftlichen
Schwatz.
»Wo?« fragte ich
ihn.
»Die Fingerabdrücke
deiner Ausländerin paßten zu einer Leiche in New York.«
Ich nickte, als hätte
ich das bereits gewußt. Er griff nach einem Blatt Papier.
»Eine bis dahin nicht
identifizierte weibliche Leiche, die im Central Park in New York entdeckt
worden war. Am 23.November 1954. Eine Weiße. Alter zwischen zwanzig
und dreißig. Eins sechzig. Braunes Haar. Haselnußfarbene
Augen.
Seit einigen Tagen tot. Schädelfraktur
und Verstümmelungen.
Sie wurde wahrscheinlich k.
o. geschlagen, erwürgt und dann zwischen Taille und Knien in Streifen
geschnitten.«
Diese Botschaft entsetzte und
schockierte mich. Ich wiegte mich auf meinem Stuhl hin und her.
»New York hat einen
kurzen Vermerk mitgeschickt. Die Fingerabdrücke der Leiche seien nie
vom FBI überprüft worden - dort werden die Fingerabdrücke
der Ausländer archiviert-, weil es keinen Grund zu der Annahme gab,
die Frau sei Ausländerin gewesen. Nach dem Fundort und dem Zustand
der Toten glaubte man, es habe sich um eine Hure gehandelt, die irgendein
Wahnsinniger zerstückelt hatte. Da niemand nach ihr suchte, habe man
den Fall ungelöst, zu den Akten gelegt.«
Ich nickte grimmig. Jeden
Augenblick werden irgendwo auf der Welt irgendwelche Leute getötet.
Es macht einem nichts aus, weil man nichts darüber weiß. Dieser
Mord vor sechzehn Jahren machte mir furchtbar viel aus. Ich wußte
Dinge darüber, Dinge, die andere Leute nicht wußten. Wie zum
Beispiel, warum sie getötet wurde, wer sie gewesen war und warum sie
zu diesem speziellen Zeitpunkt auf diese spezielle Art und Weise getötet
worden war.
»Al, New York will
wissen, wie wir auf Annie Lombard gekommen sind. Und das Justizministerium
ebenfalls.«
»Alle wollen es wissen,
wenn ich den Blick in deinen Augen richtig deute.«
»Ich kann nicht dagegen
an, Al. Du weißt, was das für mich bedeuten könnte. Du weißt
es wahrscheinlich besser als irgend jemand sonst.«
Ich wünschte, ich hätte
ihn in diesem Augenblick zum Schweigen bringen können. Ich wußte
durchaus, was es für ihn bedeutete. Aber ich wünschte, daß
ich 1954 hätte da sein und es verhindern können, denn es kann
nicht besonders schön gewesen sein. Ich wünschte, ich könnte
dafür sorgen, daß die Milliarden Menschen, die jeden Tag
herumgeschubst werden, sich das nicht mehr gefallen lassen müssen.
Ich wünschte, ich wäre nicht unwichtig für jeden außer
mir, und ich wünschte, ich würde nicht eines Tages sterben.
Ich sagte: »Ja, ich weiß.
Ich habe mir gerade überlegt, wie wir die Sache angehen. Es gibt
Leute, die ich nicht verletzen möchte.«
»Dieses Mädchen,
Annie Lombard, wurde auf die schrecklichste Art und Weise verletzt, Al.«
Diese Platitüde machte
mich maßlos wütend. Wer zum Teufel wußte das besser als
ich? Wer wußte besser Bescheid über die Fotos des Mädchens
in den fortschreitenden Stadien der Schwangerschaft, und wer wußte
besser über ihre Tochter Bescheid?
»Zieh jetzt hier nicht
die Bullenmasche ab, Jerry. Tu's nicht.
Du wirst die Lorbeeren für
diese Sache ernten, aber es geht auf meine Weise oder gar nicht. Die Sache
schmort jetzt seit sechzehn Jahren, und bei Gott, wenn du nicht aufpaßt,
kann sie noch mal sechzehn Jahre schmoren.«
Als ich das sagte, meinte ich
es wirklich, aber ich brauchte nicht lange, bis mir all die Unterlagen und
Akten wieder einfielen, die ich rumliegen hatte, ganz zu schweigen von
meinem Notizbuch. So aufbereitet, konnte sogar Gartland sich genug
zusammenreimen.
Miller spürte meinen Gefühlsaufruhr,
aber er hatte auch seine eigene Situation im Auge. »Es ist schwer.
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