Wer viel fragt
wie? Fleur fragen? Kaum, wenn sie das Geheimnis hütete, das wir
bei ihr vermuteten. Leander fragen?
Wie soll man zu einem Fremden
gehen und ihn nach der Route einer romantischen Reise fragen, die er vor
siebzehn Jahren unternommen hat. »Ich schreibe einen Artikel…«
Wenn er höflich war, würde er lachen.
Vielleicht hatten sie ja auch
Ansichtskarten nach Hause geschickt. An Daddy. Durchaus möglich.
Und durchaus zum richtigen
Zeitpunkt betrat Eloise Graham Crystal, meine minderjährige Klientin
und jugendlich schöne Wohltäterin, das Büro. Ihr Besuch
schien sich zu einer Art Zäsur meines Arbeitstages zu entwickeln.
Ich sah sie hereinkommen, und
sie sah, daß ich im Hinterzimmer war. Also begab sie sich direkt in
mein Privatquartier.
»Hier wohnen Sie also«,
sagte sie ohne übermäßige Bewunderung. Sie setzte sich in
den Sessel, der als mein Eßzimmermöbel fungiert - er hat breite
Armlehnen aus Holz, auf denen ich Teller und Gläser abstellen kann.
»Ziemlich viel Schrott«, sagte sie.
Ausgeschlafen und geistig
frisch, wie ich war, beschloß ich, die Werkzeuge meines täglichen
Lebens nicht zu verteidigen.
Statt dessen machte ich mich
gleich an die Arbeit.
»Mir ist etwas
eingefallen, das Sie vielleicht tun könnten«, sagte ich.
»Was denn?« Ihre
Augen wanderten immer noch durch das Zimmer. Ich wartete ungeduldig, bis
sie mich wiedergefunden hatte. Nur ein weiteres Stück Schrott.
»Wissen Sie, wo die
Aufzeichnungen Ihres Großvaters geblieben sind? Nicht seine Geschäftsunterlagen,
sondern seine persönlichen Briefe und dergleichen?«
»Ja, ich glaube schon.
Sie stehen auf dem Speicher, in ein paar Schuhkartons.«
»Sind Sie sicher?«
»Mama hat mich oft mit
hinaufgenommen und sie mir gezeigt. Das hab ich Ihnen doch erzählt.
Alle möglichen Briefe, zum Beispiel von ihren Brüdern und von
ihr. Und ziemlich alte, von Leuten, die wichtig waren, wie sie sagt. Ich
glaube, er hat alle Briefe aufbewahrt, die er jemals bekommen hat.«
»Ich muß sie
sehen.«
»Alle? Es sind viele
Kartons.«
»Ich denke, so viele
wie möglich, aber hauptsächlich die aus den letzten Jahren Ihres
Großvaters und die aus dem Krieg.
Also: aus den 1940er Jahren
die Briefe von Ihren Onkeln und aus den Jahren 1952 und 1953 alle. Glauben
Sie, Sie können sie mir beschaffen?«
»Ich? Sie beschaffen?«
Es dämmerte ihr langsam.
»Sie sind die einzige
mir bekannte Person, die in besagtem Haus ein und aus geht.«
»Könnte ich Sie
nicht vielleicht einfach hineinlassen, und Sie holen sich die Sachen
selbst?«
»Haben Sie Angst?«
»Ich weiß nicht.
Wenn ich erwischt werde, wahrscheinlich schon.«
»Könnten Sie sich
denn nicht viel leichter herausreden, wenn Sie ertappt würden, als
ich?«
»Aber es scheint…
hm, ja. Wann wollen Sie sie haben?«
»Wann können Sie
sie besorgen?«
»Heute abend, denke
ich. Aber ich kann sie nicht morgens mit hinausnehmen. Wir müssen uns
heute abend treffen. Ich werde sie hinausschaffen, und Sie müssen auf
mich warten.«
»Wann?«
»Sagen wir etwa um halb
zwölf. Ich werde durch den Hintereingang kommen und dann zwischen den
Häusern hindurchgehen. Ich treffe Sie an der Ecke Jefferson und
Siebzigste.« Sie holte tief Luft und kicherte. »Sie werden
mich ohne weiteres erkennen. Ich bin die mit den vielen Schuhkartons.«
»Versteht sich.«
Entschlossen erhob sie sich und nahm direkt vor mir Aufstellung. Sie war
bloß gekommen, um kurz nach dem Rechten zu sehen, und hatte statt
dessen Pflichten aufgebrummt bekommen.
»Machen Sie
Fortschritte?«
»Ich denke schon. Und
diese Briefe werden uns weiterbringen.«
»Werden Sie
herausfinden, wer mein biologischer Vater ist?«
»Wenn man es
herausfinden kann, werde ich es tun oder Ihnen sagen, wie Sie es anstellen
müssen.« Das war übereilt.
»Gut«, sagte sie.
»Ich bin müde und muß gehen. Eigentlich muß ich
nicht gehen, aber ich will gehen. Ich bin eigentlich in die Stadt
gekommen, um einzukaufen. Bis heute abend. Seien Sie pünktlich.«
Ich hatte zu ihr aufgeschaut
und mich dabei nicht richtig wohl gefühlt. Sie hüpfte davon und
zum Büro hinaus. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob ich mich
in der Annahme täuschte, daß ihre Röcke kürzer
wurden. Direkt vor meinen Augen kürzer wurden.
Ich sah ihr durch die Tür
ein paar Sekunden lang nach. Und zeigte eine eigentümliche Reaktion:
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