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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Z. Lewin
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wie? Fleur fragen? Kaum, wenn sie das Geheimnis hütete, das wir
     bei ihr vermuteten. Leander fragen?
    Wie soll man zu einem Fremden
     gehen und ihn nach der Route einer romantischen Reise fragen, die er vor
     siebzehn Jahren unternommen hat. »Ich schreibe einen Artikel…«
     Wenn er höflich war, würde er lachen.
    Vielleicht hatten sie ja auch
     Ansichtskarten nach Hause geschickt. An Daddy. Durchaus möglich.
    Und durchaus zum richtigen
     Zeitpunkt betrat Eloise Graham Crystal, meine minderjährige Klientin
     und jugendlich schöne Wohltäterin, das Büro. Ihr Besuch
     schien sich zu einer Art Zäsur meines Arbeitstages zu entwickeln.
    Ich sah sie hereinkommen, und
     sie sah, daß ich im Hinterzimmer war. Also begab sie sich direkt in
     mein Privatquartier.
    »Hier wohnen Sie also«,
     sagte sie ohne übermäßige Bewunderung. Sie setzte sich in
     den Sessel, der als mein Eßzimmermöbel fungiert - er hat breite
     Armlehnen aus Holz, auf denen ich Teller und Gläser abstellen kann.
     »Ziemlich viel Schrott«, sagte sie.
    Ausgeschlafen und geistig
     frisch, wie ich war, beschloß ich, die Werkzeuge meines täglichen
     Lebens nicht zu verteidigen.
    Statt dessen machte ich mich
     gleich an die Arbeit.
    »Mir ist etwas
     eingefallen, das Sie vielleicht tun könnten«, sagte ich.
    »Was denn?« Ihre
     Augen wanderten immer noch durch das Zimmer. Ich wartete ungeduldig, bis
     sie mich wiedergefunden hatte. Nur ein weiteres Stück Schrott.
    »Wissen Sie, wo die
     Aufzeichnungen Ihres Großvaters geblieben sind? Nicht seine Geschäftsunterlagen,
     sondern seine persönlichen Briefe und dergleichen?«
    »Ja, ich glaube schon.
     Sie stehen auf dem Speicher, in ein paar Schuhkartons.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Mama hat mich oft mit
     hinaufgenommen und sie mir gezeigt. Das hab ich Ihnen doch erzählt.
     Alle möglichen Briefe, zum Beispiel von ihren Brüdern und von
     ihr. Und ziemlich alte, von Leuten, die wichtig waren, wie sie sagt. Ich
     glaube, er hat alle Briefe aufbewahrt, die er jemals bekommen hat.«
    »Ich muß sie
     sehen.«
    »Alle? Es sind viele
     Kartons.«
    »Ich denke, so viele
     wie möglich, aber hauptsächlich die aus den letzten Jahren Ihres
     Großvaters und die aus dem Krieg.
    Also: aus den 1940er Jahren
     die Briefe von Ihren Onkeln und aus den Jahren 1952 und 1953 alle. Glauben
     Sie, Sie können sie mir beschaffen?«
    »Ich? Sie beschaffen?«
     Es dämmerte ihr langsam.
    »Sie sind die einzige
     mir bekannte Person, die in besagtem Haus ein und aus geht.«
    »Könnte ich Sie
     nicht vielleicht einfach hineinlassen, und Sie holen sich die Sachen
     selbst?«
    »Haben Sie Angst?«
    »Ich weiß nicht.
     Wenn ich erwischt werde, wahrscheinlich schon.«
    »Könnten Sie sich
     denn nicht viel leichter herausreden, wenn Sie ertappt würden, als
     ich?«
    »Aber es scheint…
     hm, ja. Wann wollen Sie sie haben?«
    »Wann können Sie
     sie besorgen?«
    »Heute abend, denke
     ich. Aber ich kann sie nicht morgens mit hinausnehmen. Wir müssen uns
     heute abend treffen. Ich werde sie hinausschaffen, und Sie müssen auf
     mich warten.«
    »Wann?«
    »Sagen wir etwa um halb
     zwölf. Ich werde durch den Hintereingang kommen und dann zwischen den
     Häusern hindurchgehen. Ich treffe Sie an der Ecke Jefferson und
     Siebzigste.« Sie holte tief Luft und kicherte. »Sie werden
     mich ohne weiteres erkennen. Ich bin die mit den vielen Schuhkartons.«
    »Versteht sich.«
     Entschlossen erhob sie sich und nahm direkt vor mir Aufstellung. Sie war
     bloß gekommen, um kurz nach dem Rechten zu sehen, und hatte statt
     dessen Pflichten aufgebrummt bekommen.
    »Machen Sie
     Fortschritte?«
    »Ich denke schon. Und
     diese Briefe werden uns weiterbringen.«
    »Werden Sie
     herausfinden, wer mein biologischer Vater ist?«
    »Wenn man es
     herausfinden kann, werde ich es tun oder Ihnen sagen, wie Sie es anstellen
     müssen.« Das war übereilt.
    »Gut«, sagte sie.
     »Ich bin müde und muß gehen. Eigentlich muß ich
     nicht gehen, aber ich will gehen. Ich bin eigentlich in die Stadt
     gekommen, um einzukaufen. Bis heute abend. Seien Sie pünktlich.«
    Ich hatte zu ihr aufgeschaut
     und mich dabei nicht richtig wohl gefühlt. Sie hüpfte davon und
     zum Büro hinaus. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob ich mich
     in der Annahme täuschte, daß ihre Röcke kürzer
     wurden. Direkt vor meinen Augen kürzer wurden.
    Ich sah ihr durch die Tür
     ein paar Sekunden lang nach. Und zeigte eine eigentümliche Reaktion:
    

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