Wer viel fragt
Gesundheitszustand entscheidend
geändert hatte.
Aber inwiefern?
Nach dem 18. August 1954
waren keine Behandlungstermine mehr eingetragen. Er war am 2o. August
gestorben, und dieses Datum war unter der letzten Eintragung vermerkt.
Dazu: ›Verstorben.‹ Diesmal keine Nummer dahinter.
Ich legte den Stapel Fotos
beiseite. Unzufriedenheit überfiel mich. Ich war mir nicht sicher, ob
ich einen Haufen nichtssagender Abzüge vor mir hatte oder einfach
nicht genug wußte, um herauszufinden, was ich mir da eigentlich
verschafft hatte. Ich war ratlos, und mir war nicht danach, noch lange darüber
nachzudenken. Es war eine anstrengende Nacht nach einem anstrengenden Tag
gewesen. Ich spürte, daß ich nur noch rein mechanisch
funktionierte.
Ich warf mich auf mein Bett.
Mein Zustand erinnerte mich an die Tage nach den zermürbenden Nächten,
in denen meine Tochter ihre ersten Zähne bekam. Harte Zeiten.
Im gleichen Augenblick mußte
ich an Eddie denken, den einsamen Wachmann, und meinen Hocker, den
unerreichbaren Gefangenen. Das verhalf mir zu einem echten Stimmungstief.
Wie kann sich jemand mit
meinen Fähigkeiten als solch armseliger Einbrecher erweisen?
Keine Nerven, das mußte
es wohl sein. Vielleicht auch einfach mangelnde Übung. Träge
beschloß ich, mehr zu üben.
Vielleicht ein Leben des
Verbrechens zu führen. Träge schlief ich ein.
12
Eine Sirene heulte, aber sie
galt nicht mir. So gegen Viertel nach drei. Nicht mehr viel übrig vom
Tag. Und trotzdem hatte ich mich geistig kaum erholt. Gerade so weit, daß
ich mir einen großen Briefumschlag, ein Ringbuch, einen Locher und
eine Schere aus dem Büro holen konnte.
In den Umschlag steckte ich
die am Vormittag vergeblich studierten Abzüge. Dann sammelte ich die
Duplikate, die ich in meiner morgendlichen Arbeitswut angefertigt hatte,
von den verschiedenen Orten zusammen, wo sie trockneten. Ich gratulierte
mir zu meinem Eifer. Ich glättete die Abzüge und lochte sie für
das Ringbuch. Dann schnitt ich die Namen und Adressen heraus und heftete
sie nach Patienten sortiert in das Ringbuch. Schließlich bekam die
Krankenakte eines jeden Patienten noch eine Nummer.
Ich wurde nicht schlau
daraus, aber vielleicht konnte ja ein Arzt etwas damit anfangen. Fishman
war ja nicht der einzige Arzt in der Stadt. Ich hatte selbst einen Arzt.
Wie einfach das Leben doch ist! Nimm die Aufzeichnungen mit zu Dr. Harry,
und laß sie von ihm durchsehen. Dazu bedurfte es nichts weiter als
etwas Geld. Und eines Gebetes sozusagen, daß es überhaupt etwas
zu entdecken gab.
Ich rief Harry an, bekam aber
nur seine Sprechstundenhilfe an den Apparat. »Was macht er?
Hundefutter aus einem seiner Patienten?«
»Nein, Mr. Samson«,
sagte die Helferin. Sie kannte mich von früher. Sie überbrachte
meine Botschaft ihrem Chef und richtete mir dann aus, daß ich das
Ringbuch bei ihm zu Hause abgeben solle. Er würde es heute abend für
mich durchsehen.
Ich heftete ihm ein
Zettelchen an das Ringbuch. Er sollte sich die Aufzeichnungen anschauen
und auf ›alles Ungewöhnliche‹ achten, was immer das
bedeuten mochte. Es handele sich um die Krankenakten eines praktischen
Arztes und dessen Sohnes über eine ganze Familie, die bei ihnen in
Behandlung war.
Bevor ich mich aufmachte,
verfaßte ich im Geist für mich selbst ein ähnliches
Zettelchen. Was du jetzt tun sollst, ist…
Was eigentlich? Vor etwa
vierundzwanzig Stunden hatte ich darüber nachgedacht, was ich
eigentlich vorhatte - den Vater der am 1. November 1954 in New York City
geborenen Eloise Graham Crystal ausfindig zu machen.
Was konnte ich noch tun, was
ich bisher unversucht gelassen hatte? Vielleicht nach New York fahren? Ich
hatte einige Jahre in New York gelebt. Mein Kind war dort zur Welt
gekommen.
Sehr schön, aber was
konnte ich in New York herausfinden?
Vielleicht, daß Eloise'
echter Vater Fleur im Krankenhaus besucht hatte. Würde es darüber
Aufzeichnungen geben? Würde sich eine Schwester dort an ihn erinnern?
Nein.
Ich konnte nach Europa reisen
und versuchen, herauszufinden, wo sie gezeugt worden war. Aber wo in
Europa sollte ich suchen? Wahrscheinlich in der Nähe des Grabes von
Joshua Graham. Was hieß Nähe? Zehn Kilometer, hundert
Kilometer? Wirklich sehr vernünftig. Ich könnte genauer
herausbekommen, wo und wann sie diverse Orte in Europa besucht hatten.
Aber
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