Wer viel fragt
galten den geschäftigen Zeiten eines
Menschenlebens: der Hochzeit (1916, der erste große Stapel), der
Geburt der Kinder (1920 Windom, 1922 Sellman, 1926 Joshua, 1930 Fleur) und
um die hundert dem Tod Irene Olians 1937.
Es war drei Uhr in der Frühe.
Ich wollte nicht sofort mit der Lektüre anfangen. Ich sah mir nur
einige wenige flüchtig an. J.C. Penny hatte geschrieben, um sein
Beileid zu Irenes Tod auszusprechen.
Schließlich schlief ich
ein.
Der Morgen und eine neue
Sonne. Alte Briefe und dazu ein armseliger Kaffee - keine verlockende
Vorstellung. Also entschied ich mich für das Ungewöhnliche und
drückte sechs winzige Orangen aus, so daß es den Saft zur
Abwechslung einmal frisch gab. Schließlich waren Briefe etwas
Besonderes und auch nicht meine Normalkost.
Und tatsächlich
steuerten sie neue Informationen bei. Keine tiefen Geständnisse, aber
einige Informationen. Wie zum Beispiel, daß Leander und Fleur bei
ihrer Frankreichreise 1953/54 hauptsächlich in Toulon und Umgebung
gewesen waren. Sie hatten von dort aus einen Ausflug nach Württemberg
in Deutschland gemacht, einen nach Tours in Frankreich und einen nach
London. Estes hatte Woche für Woche je einen Brief von ihnen
bekommen. Immer die gleiche, forsche Wohlgelauntheit und in monotoner
Regelmäßigkeit Lobgesänge auf das Wetter und das Essen.
Diese Episteln überraschten
mich irgendwie. Sie waren der erste Riß in dem Bild, das ich mir von
Fleur gemacht hatte. Ich wußte zwar nicht genug, um wohlbegründet
zu bezweifeln, daß sie überhaupt jemals ungezwungen gewesen
sein konnte. Aber mit monatelang anhaltender Prachtlaune hätte ich
bei ihr nie und nimmer gerechnet.
Zwischen 1944 und 1945 hatte
Fleurs jüngster Bruder Joshua ganz andere Briefe geschrieben. In
klarer, aber etwas dürftiger Prosa, voll komplexer Gedanken, die in
einfache Sätze gepreßt waren.
August 1944 Mein lieber
Vater, meine liebe Schwester, ich darf nicht schreiben, wo wir sind. Ich
will aber auch gar nicht über diese Dinge nachdenken.
Statt dessen denke ich ständig
an Euch beide, an Mrs. F. und Win und Slugger. Ich hoffe, sie sind bei
einem besseren Verein gelandet als ich, wo immer sie auch sein mögen.
Ich hab es hier mit einem Haufen unflätiger Kerle zu tun…
Mich macht ein Mann
neugierig, der sich im Krieg mit solchen Sorgen plagt. Als er den Brief
schrieb, waren seine Brüder bereits tot.
Im Dezember erwähnt er
in seinen Briefen zum ersten Mal einen Mann, »… der meiner
Kompanie neu zugeteilt ist. Er ist für seine Tapferkeit ausgezeichnet
worden. Ich weiß nicht, warum man ihn hierher geschickt hat. Hier
ist kein Bedarf an Tapferkeit. Er heißt Leander Crystal. Er ist mein
Freund geworden. Er benutzt nicht diese unflätige Sprache wie die
anderen hier.«
In sieben Briefen nach Hause
berichtete Joshua von seinem Freund - bis er nicht mehr schreiben konnte.
Leander schrieb von Joshua nur ein einziges Mal.
März 1945 Lieber Mr.,
liebe Miss Graham, ich weiß, daß Sie inzwischen offiziell von
der Tragödie, die sich hier um Ihren feinen jungen Mann, meinen
Freund Joshua, abgespielt hat, unterrichtet worden sind. Uns bricht es
hier das Herz ebenso, wie es Ihnen ergehen muß, weil er ein Mann
war, wie man sich ihn besser nicht wünschen kann, und ein guter Kämpfer
gewesen wäre, hätte man ihm nur die Möglichkeit des
Fronteinsatzes verschafft, wie er es sich so sehnlichst wünschte.
Sie sollten genau wissen, wie
es geschah. Joshua fuhr einen Lastwagen mit dringend benötigtem
Nachschub, als plötzlich eine französische Familie vor ihm auf
der Straße auftauchte. Als er auf die Seite fuhr, um ihnen
auszuweichen, löste er auf der Straßenböschung eine Mine
aus und wurde von ihr getötet.
Obwohl die Straßen
eigentlich geräumt sein sollten, kommt so etwas immer wieder vor.
Zufällig war ich in der
Nähe und eilte mit einem Arzt, der in meiner Begleitung war, zu dem
armen Joshua hin.
Sie sollen wissen, daß
seine letzten Worte seiner Liebe zu Ihnen, seinem Vater, seiner Schwester
und seinen Brüdern galt.
Ich weinte, als er in meinen
Armen starb, und ich weine nicht leicht, habe ich doch ohne Tränen
den Tod anderer ertragen, die ich viel länger kannte als Ihren Sohn.
Es ist eine furchtbare Tragödie,
daß Kriege, und seien es auch gerechte, geführt werden müssen
und daß dabei Menschen wie Ihr Sohn fallen. Und
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