Wer will schon einen Traummann: Roman (German Edition)
frischen Wäsche unterm Arm bückte sie sich und hob das Baby auf.
Die Digitaluhr auf Mabels Armaturenbrett zeigte 6: 02 an. Lucy wünschte, bloß einmal in ihrem Leben ausschlafen zu können, wie andere Jugendliche in ihrem Alter – aber dazu kam es nie.
Ihre Schwester war schwer, und Lucy stieß auf dem Weg zur Tür gegen den Tisch; doch Jorik rührte sich nicht. Dann sah sie die halbleere Whiskyflasche auf dem Boden liegen. Ein Gefühl von Verrat erfüllte sie. Wurde auch er zu einem Säufer wie Sandy?
Die einzige Zeit, in der Sandy sich nicht dauernd betrank, war während der Schwangerschaft. Lucys Augen füllten sich mit Tränen. Das hatte sie verdammt genossen. Obwohl Sandy oft mit Trent ausging, waren sie doch auch allein gewesen: bloß sie beide, hatten zusammengesessen, gelacht und sich über alles mögliche Zeug unterhalten.
Manchmal hatte Lucy ein schlechtes Gewissen, weil ihr Sandys Tod nicht so richtig Leid tat; aber in vieler Hinsicht war Sandy schon nach der Geburt ihrer kleinen Schwester für sie gestorben, als sie wieder mit dem Trinken anfing. Alles, was sie von da an interessierte, waren Partys. Lucy hatte angefangen, sie beinahe zu hassen.
Draußen roch es nach Speck und frischer Luft. Einmal war sie mit Sandy und Trent auf einem Campingplatz gewesen und wusste, dass es gewöhnlich Duschräume für die Leute gab, die das Bad in ihrem Wohnwagen nicht benutzen wollten. Sie musste das Baby ein paarmal absetzen, um ihre Arme auszuruhen. Endlich entdeckte sie eine grün gestrichene Holzbaracke. Hoffentlich war es drinnen nicht allzu eklig.
Sie hievte das Baby wieder hoch. »Du fängst besser bald an zu laufen, im Ernst! Allmählich wirst du mir einfach zu schwer. Und hör auf, mich ins Auge zu pieksen, ja?«
Babys taten andauernd solches Zeug. Weckten einen in aller Herrgottsfrühe auf, wenn man noch schlafen wollte, stachen einen ins Auge, kratzten einen mit ihren Fingernägeln. Sie waren nicht absichtlich solche Nervensägen, wussten es halt nicht besser …
Niemand war in den Duschräumen, als sie eintraten, und Lucy freute sich, dass es einigermaßen sauber war. Ihre Arme fühlten sich an, als hätte jemand versucht, sie ihr aus den Schultern zu reißen, und sie schaffte es gerade noch in eine der beiden großen Kabinen, bevor ihre Arme den Dienst aufgaben. Sie ließ ihre Schwester auf den Betonboden plumpsen und ihre Sachen auf eine Holzbank fallen.
In diesem Moment merkte sie, dass sie Shampoo und Seife vergessen hatte. Zwar hatte jemand ein Stück Seife liegen gelassen, aber es war grüne, und sie mochte keine grüne Seife, weil die so blöd roch. Aber ihr blieb keine Wahl – so wie immer in ihrem bisherigen Leben.
Wieder fing ihr Magen an zu schmerzen. Er tat in letzter Zeit oft weh, besonders, wenn sie sich Sorgen machte.
Das Baby gurrte fröhlich vor sich hin, während Lucy es auszog, und diese lustigen Laute entschädigten sie für das frühe Aufstehen. Während das Engelchen herumkroch, zog Lucy auch ihre eigenen Sachen aus und hielt die Hand vorsichtig unter den Strahl, um sicherzugehen, dass er auch nicht zu heiß war. Sie trat unter die Dusche, bückte sich und streckte die Arme aus, aber ihre Schwester fürchtete sich vor dem Sprühwasser und blieb in Deckung.
»Jetzt komm schon.«
»Mmpf!« Sie verzog ihr Gesichtchen und kroch rückwärts.
Lucy versuchte, sich nicht aufzuregen, weil sie ja bloß ein Baby war und keine Ahnung von Wasser hatte. Aber es war schwer, nicht zornig zu werden, wenn einem zu allem anderen auch noch der Magen wehtat.
»Komm sofort her!«
Das Baby zog eine Schnute und rührte sich nicht.
»Ich mein’s ernst! Komm jetzt hier rein!«
O Scheiße! Das runde Gesicht verzog sich und die kleinen Augen füllten sich mit Tränen. Sie gab keinen Laut von sich, fing bloß an zu zittern, auch die Unterlippe, und Lucy konnte das nicht ertragen. Splitternackt und frierend trat sie aus der Duschkabine und bückte sich, um ihre Schwester zu umarmen.
»Ich wollte dich nicht anschreien. Es tut mir Leid, Button. Entschuldige.«
Button vergrub ihr Gesicht an Lucys Hals, wie sie es immer tat, und schlang die Ärmchen um sie, weil Lucy alles war, was sie auf der Welt hatte.
In diesem Moment konnte auch Lucy nicht länger an sich halten und brach in Tränen aus. Mit einer Gänsehaut am ganzen Körper und Button, die sich an sie krallte, und mit wild hämmerndem Herzen weinte sie, bis sie bebte; denn sie wusste nicht, wie sie sich um Button kümmern sollte und
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