Wer Wind sät
einfach akzeptiert, das erwartete er nur von anderen, er war so ausfallend geworden wie nie zuvor. Jannis warf seinem Spiegelbild einen selbstzufriedenen Blick zu. Ludwig Hirtreiter hatte gestern Abend endlich seine gerechte Strafe bekommen. Dafür hatte er gesorgt.
Wenig später schob er sein Fahrrad aus der Garage. Es regnete, aber er brauchte dringend Bewegung, um den Kopf frei zu kriegen. Während er durch den Wald Richtung Ruppertshain radelte, dachte er an Nika. Gestern Nacht hatte er tatsächlich an sie gedacht, während er Ricky vögelte. Warum hatte sie ihm wohl ihren Namen verschwiegen? Welches Geheimnis trug sie mit sich herum? Er hatte tausend Fragen, aber er musste seine Neugier bezähmen und es geschickt anstellen, denn Nika durfte unter gar keinen Umständen misstrauisch werden. Sie hatte sicher einen guten Grund dafür, sich bei ihnen zu verstecken, und genauso sicher gab es eine Erklärung für den Inhalt ihrer Reisetasche. Der Regen klatschte ihm ins Gesicht. Jannis war so in Gedanken, dass er kaum bemerkte, wo er hinfuhr; überrascht fand er sich plötzlich vor dem Tierparadies wieder. Er stellte sein Fahrrad ab und ging hinein. AuÃer Nika war niemand im Laden, wie er erleichtert feststellte.
»Hallo, Jannis.« Sie war ganz blass im Gesicht. »Stell dir vor, eben hat Heinrich bei Frauke angerufen. Ludwig ist letzte Nacht erschossen worden!«
»Was?« Der Schreck durchzuckte seinen Körper wie ein StromstoÃ. »Erschossen?«
»Ja. Heinrich wollte ihn heute Morgen bei der Wache im Wald ablösen, und da hat er seine Leiche gefunden. Ist das nicht entsetzlich?«
»Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es täte mir leid«, erwiderte Jannis. »Hoffentlich fällt heute Abend deswegen nicht die Versammlung aus.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte Nika schockiert. Jannis ging an ihr vorbei in das kleine Büro, lieà sich auf einen der Stühle fallen und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das tropfnasse Haar. Nika folgte ihm.
»Was ist mit deinen Händen passiert?«, wollte sie wissen.
»Allergie«, erwiderte er leichthin. »Hab ich manchmal im Frühling.«
Sie stand in der Tür, musterte ihn mit eigentümlicher Miene. Am liebsten hätte er ihr gesagt, was er über sie wusste, aber es wäre höchst unklug, zu diesem Zeitpunkt bereits alle Karten auf den Tisch zu legen. Hoffentlich tauchte Ricky nicht ausgerechnet jetzt auf.
»Ich möchte dich bitten, mir zu helfen«, sagte er.
»Ich?« Nikas Augenbrauen zuckten überrascht hoch. »Wie denn?«
»Ich sehe allmählich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr«, begann er. »Du erinnerst dich an die Gutachten, die ich mir gestern angesehen habe?«
Nika nickte.
»Es handelt sich um zwei Gutachten, die der WindPro zur Baugenehmigung verholfen haben. Sie kommen zu einem komplett anderen Ergebnis als das alte Gutachten der Firma EuroWind, das vor acht Jahren im Auftrag des Landes Hessen angefertigt wurde, und unsere beiden Sachverständigengutachten. Das ist so auffällig, dass es stinkt.«
»Und was soll ich machen?«, fragte Nika zurückhaltend. »Ich habe keine Ahnung von so etwas.«
Heuchlerin, dachte Jannis. Wenn einer Ahnung hat, dann wohl du.
»Das ist nicht schlimm«, sagte er laut. »Es würde mir schon helfen, wenn du sie einfach miteinander vergleichst und die Eckdaten notierst, damit ich verstehe, wo sie die Fakten verdreht haben. Ich brauche Argumente. Wirklich, Nika, du würdest mir einen Riesengefallen tun!«
Die geniale Idee, sie um Hilfe zu bitten, war ihm eben erst gekommen. Er brauchte sie nicht, denn er wusste selbst, wie man Gutachten las und beurteilte.
»Schau dir die Gutachten an, die dieser Typ vom Climatic Research Unit von der University of Wales und Professor Eisenhut vom Deutschen Klima-Institut angefertigt haben, und vergleiche die Zahlen.«
Er registrierte ein winziges erschrockenes Aufblitzen in Nikas Augen, als er den Namen Eisenhut erwähnte. Damit waren seine Zweifel restlos ausgeräumt. Jetzt wusste er mit Bestimmtheit, wer sie in Wirklichkeit war, und er würde dieses Wissen für seine Zwecke nutzen.
»Theissen geht es nur ums Geld, es interessiert ihn nicht die Bohne, ob die Windräder hier jemals laufen oder nicht.« Jannis senkte die Stimme zu einem beschwörenden Flüstern. »Leider hat er
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