Wer wir sind
vorzubereiten.«
»Darauf, die Nazis fertigzumachen.«
Der neue Hans nickt. Er lässt seinen Blick von einem zum anderen schweifen, liebevoll wie ein Vater im Kreis seiner Söhne.
»Hitler zerstört den kapitalistischen Westen. Und danach wird Stalin Hitler zerstören.«
»Dann kommt die nationale Erhebung der Deutschen.«
»Und die Arbeiter der anderen westlichen Länder werden sich uns anschließen.«
Es ist also alles gar nicht so furchtbar. Es ist im Grunde alles in Ordnung. Alles ist auf dem richtigen Weg, alles befindet sich im Aufstieg. Sie sind kurz davor, einander zu applaudieren. Sie sind kurz davor, einander zu umarmen, in Hurrarufe auszubrechen wie nach einem Sieg. Dabei ist alles noch genauso wie vorher. Die tatsächliche Lage hat sich nicht verändert.
»Dies ist nicht nur ein Kampf zwischen Demokratie und Faschismus. Dies ist ein Kampf zwischen Westen und Osten.«
»Genau. Und wenn das jetzt nicht entschieden wird, geht es in der nächsten Generation von vorn los. Dann kämpfen die nächsten den Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus.«
»Aber es kann ja diesmal gar nicht zugunsten des Kapitalismus entschieden werden. Der Kapitalismus ist am Ende, das hat man in der Weltwirtschaftskrise gesehen. Es kann nicht wieder zugunsten der Ungleichheit entschieden werden. Das würde nur neuerlichen Konflikt bedeuten.«
Der neue Hans betrachtet den Sprecher begeistert.
»So ist es. Jetzt kriegt der Westen die Quittung für seine Abwieglerei. Erst haben sie vor den Roten geschlottert, und jetzt schlottern sie vor dem Krieg mit uns, den sie führen müssen, wenn wir Polen angreifen. Ich gönne ihnen den schlechten Schlaf. Die Spanier haben auch schlecht geschlafen, als man in London Nichteinmischung gespielt hat.«
Die Jungen lachen. Sie strahlen den neuen Hans an. Er kommt erst ins Laufen, wenn die anderen umfallen. Ihm ist erst wohl bei Temperaturen, bei denen die anderen ermattet zu Boden sinken. Er hat die große Geste, die Überlegenheit, die Unbekümmertheit, die alles leicht und gefahrlos aussehen lässt.
»Also Mut. Warten wir ab, wie es weitergeht. Wir dürfen jedenfalls alle sehr gespannt sein. Wir dürfen sehr optimistisch sein.«
Er erhebt sich. Die anderen erheben sich mit ihm. Es ist alles gesagt. Der fremde Hans hat alles bereinigt.
»Ach Kinder, es ist doch toll. Es ist doch eine aufregende Zeit, in der wir leben dürfen.«
So ist es. Wenn dieser Mann es behauptet, dann ist dies keineverfluchte Epoche, sondern eine packende, herausfordernde.
»Wir sollten unbedingt in Kontakt bleiben«, sagt Heinrich Scheel.
»Unbedingt«, sagt Hans Lautenschläger.
»Ich finde auch«, sagt der Mann namens Hans. Er streckt Heinrich Scheel die Hand hin.
»Harro Schulze-Boysen«, sagt er. »Lotte weiß, wie ihr mich erreicht.«
Hans Coppi und Hilde Rake sitzen im Garten der Coppis in der Laubenkolonie Waldessaum. Die Kolonie liegt im Norden Berlins zwischen den Borsig-Werken und der Haftanstalt Tegel, am ausgefransten Rand der Stadt, deren letzte Ausläufer sich hier in der Ödnis der Schuttplätze, Lagerschuppen und Fabrikhöfe verlieren. Es ist ein heißer Augustabend.
Ein Mittwoch: Am Mittwoch schließt die Arztpraxis, in der Hilde als Sprechstundenhilfe angestellt ist, schon am Nachmittag. Hilde ist sofort losgeradelt. Sie sitzen im lichten Schatten des Apfelbaums, zwischen Rosen und Kartoffeln, Beerenbüschen und Küchenkräutern, weit fort von den glänzenden Villenvierteln, den dichtgedrängten Arbeiterquartieren, den Boulevards, Kneipen, Theatern und Warenhäusern der Stadt.
Sie sind allein. Mutter Coppi bedient noch in ihrer kleinen Eisdiele schräg gegenüber der Kolonie. Hilde lehnt an Hans’ Schulter. Sie hat ihre Brille abgenommen. Alles ist grün und üppig und hell. Das sieht Hilde. Sie sieht alles verschwommen, weil sie die Brille abgenommen hat. Sie zerreibt ein Blatt Petersilie zwischen den Fingern und freut sich an ihrem scharf-süßlichen Duft. Sie ist sehr glücklich.
»Was mich wirklich verärgert, ist die Ungerechtigkeit«, sagt Hans. »Dass manche Leute mit einem silbernen Löffel imMund geboren werden, mit allen Chancen dieser Welt, und andere müssen um alles ringen und kommen doch nicht von der Stelle.«
Hans ist Dreher. Er arbeitet in der Fabrik. Er arbeitet hart, und er ist im Grunde zu intelligent für seine Arbeit.
»Ich bin natürlich selber schuld«, sagt Hans. »Warum trete ich nicht in die Partei ein? Warum mache ich nicht Karriere bei der SS? Warum
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