Wer wir sind
Sie nun gleich seine Sachen mitnehmen.«
Freya ist auf dem Weg nach Berlin. Sie wird nach Berlin gelangen. Aber erst einmal muss sie den Bahnhof von Fürstenberg erreichen, mit Helmuths Koffer und mit dem ihren. Die Koffer sind schwer. Ihr Koffer enthält, was sie diesmal für Helmuth aus Kreisau mitgebracht hat. Sein Koffer enthältalles, was Freya früher von Kreisau hierhergebracht hat: die Bücher, die Lampe, Kleider und Teller. Nun schleppt sie alles wieder mit sich zurück.
Freya hat ihre Koffer bei Helmuths Vetter Carl Dietrich von Trotha untergestellt. Sie kann bei Trothas übernachten. Das ist sehr mutig von ihnen. Carl Dietrich ist ja noch frei, ebenso Horst von Einsiedel. In der Nacht war wieder ein Bombenangriff. Am Morgen braucht Freya bis zur Lehrter Straße zwei Stunden. Teile des Gefängnisses liegen in Trümmern.
»Moltke? Ah. Der Lange. Die sind alle nach Tegel gekommen.«
»Nach Tegel!«
Zu Harald Poelchau.
Romai steht wie jede Woche vor dem Gefängnis Lehrter Straße, mit Gravensteiner Äpfeln, Wäsche, Blumen aus dem Kreisauer Garten. Sie wartet auf das Paket mit der schmutzigen Wäsche, auf den Zeitungsrandabriss mit ein paar darauf hinterlassenen Worten.
Verhandlung wieder verschoben
Das hat Edolf die letzten beiden Male geschrieben. Diesmal kommt kein Zettel mit. Hoffentlich heißt das nicht, dass ihn der nächtliche Angriff verletzt hat. Romai überlegt, dass sie Harald Poelchau bitten wird, sich nach Edolf zu erkundigen. Sie braucht fast eine Stunde bis nach Tegel hinaus. Auf dem Gefängnishof, zwischen zwei Beamten, steht in gestreifter Sträflingskleidung Helmuth James Graf von Moltke.
Freya ist glücklich in das Gefängnis Tegel hineingelangt. Man hat sie durch all die Türen und Tore, Höfe und Gänge, Gitter und abschließbaren Schranken hindurchgeschleust, nun sitztsie in Poelchaus Vorzimmer. Die Tür geht auf, und Romai kommt herein.
»Freya! Du hier? Ich habe Helmuth im Hof gesehen.«
Freya stürzt los. Sie muss zurück. Man muss ihr öffnen. Freya befiehlt. Ihr Ton duldet absolut keinen Widerspruch.
»Machen Sie auf. Lassen Sie mich hinaus.«
Man gehorcht ihr, bevor man begriffen hat.
»Öffnen Sie. Augenblicklich.«
Und da ist er. Da steht ihr Mann. Sie sehen einander an. Es geht ihm gut. Er ist noch da. Er ist unzerstört: Dies sind Helmuths Augen, die Freya anblicken. Es ist dieser Moment, noch einer. Dann tritt ein Wachmann neben Helmuth. Er führt ihn ab. Freya sieht ihm nach. Auf der Treppe wendet sich Helmuth noch einmal nach ihr um.
»Ist Ihnen jetzt besser?«, sagt der erste Wachtmeister.
»Sind Sie verrückt geworden? Was fällt Ihnen ein? Was glauben Sie, wo Sie hier sind«, brüllt der zweite.
Freya Moltke lacht ihm ins Gesicht.
Ihr Herz singt. Die Türen öffnen sich, schließen sich hinter ihr, Freya geht weiter. Helmuth ist hier. Er ist er selbst. Sie haben ihm nichts anhaben können.
Mein Jäm, mein Herz, mein Wirt, mein Liebster, wie schön, dass ich Dir noch einmal richtig schreiben kann.
Es ist ein unfassbar großes Geschenk: Harald Poelchau hat sich bereiterklärt, einen Brief Freyas zu Helmuth in die Zelle zu schmuggeln, am Zensor vorbei.
Wie beglückend, dass wir uns sahen. Wie gut, dass Du Dich doch zu mir entschlossen hast, wie gut, dass ich Dir für mich die Söhnchen entrissen habe. Wie gut, dass ich jede Minute mit Dir bewusst als Geschenk empfunden habe, dass ich mich um jede gerissen habe.
Harald Poelchau bringt Freya Helmuths Antwort.
Mein liebes Herz, mein Pim, mein Kleiner,
Ich bin meiner Sache so sicher, ich bin so fest verankert, dass, so Gott will, mir die erforderliche Kraft keinen Augenblick fehlen wird.
»Hauptsächlich wirft man ihm vor, dass er über Goerdelers Umsturzpläne informiert war und dies der Gestapo nicht angezeigt hat«, sagt Harald Poelchau zu Freya. »Damit ist er in den Sog des 20. Juli geraten.«
»Ich habe es erwartet«, sagt Freya. »Ich habe es erwartet. Wie lange haben wir noch?«
»Wer kann das sagen? Vielleicht nur ein paar Tage.«
»Weiß er das?«
Harald Poelchau hebt den Kopf. Er sieht aus dem Fenster. Dann sagt er: »Er rechnet im Moment fest mit seinem Tod. Er ist sehr gelassen. Aber das muss nicht so bleiben. In der Haft geht etwas mit den Menschen vor. Sie verlieren den Kontakt mit der Wirklichkeit. Oft setzen sie dann auf die unwahrscheinlichsten Dinge.«
Freya wohnt nun in Carl Dietrich Trothas Wohnung in Lichterfelde. Morgens durchquert sie die Stadt, um einen Brief an Helmuth in
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