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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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sich emporkämpfen zu hoher Emphase. Aber Freyas Anblick hat ihn wieder in die Tiefe hinabgerissen. Gottentscheidet über sein Leben? Ach woher denn. Hitler entscheidet, Himmler, Keitel, Kaltenbrunner, Müller. Der Satan entscheidet. Er ist aus der Hand Gottes gestürzt, er stürzt, stürzt, stürzt ins Bodenlose, der Strom reißt ihn fort, der Lavastrom der Hölle. Er spricht Psalmen, Lieder, Bibelstellen. Er ruft laut den 139. Psalm.
    Herr, du erforschest mich und kennest mich. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir –
    Aber die Qual weicht nicht. Rühmt er sich nun wohl auch noch damit? Denkt er: Wer wird so gequält und kann es ertragen? Das ist ja aber das Teuflische, das ist sein Hochmut. Und da steht sie wieder vor ihm, seine schöne Liebste. Er sieht sie, sie lächelt. Dankbar sinkt er zurück, erschöpft. Aber er erwacht wieder, und nun ist alles klar. Man wird ihn erhängen. Man wird ihn strangulieren. Man wird ihn langsam, ganz langsam erwürgen. Und wenn es nur schon so weit wäre. Wenn er schon hinge. Wenn er es hinter sich hätte, und hätte in Größe bestanden. In Einfalt. In Zuversicht. Wenn er schon wüsste, dass er angenommen ist, dass am Ende der Qualen Gottes Hand ihn auffängt.
    »Du musst die Gewissheit nicht fühlen, Helmuth.«
    Poelchau ist da.
    »Die subjektive Gegenwart der Erkenntnis ist nicht nötig. Du musst es nicht empfinden, du musst lediglich objektiv wissen, dass du durch Christus gerettet bist. Das genügt.«
    Also Jesaja 43, 1.
    Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.
    Ja, na ja. Sehr gut, schön. Mit anderen Worten, sollte Himmler getauft sein, sollte Adolf Hitler getauft sein, sollte Helmuths Richter Freisler getauft sein, dann sind sie ebenso von ihren Sünden erlöst wie Helmuth Moltke. Sie sind errettet,sie ruhen in der Hand Gottes, und Helmuth wird sie im Jenseits treffen.
    Das ist schwer zu ertragen. Das ist überhaupt nicht zu ertragen. Aber Poelchau hat recht. Was er sagt, ist logisch und offensichtlich und muss nun also gelernt werden. Helmuth muss an seine Frau denken. Darin liegt die Stärke, darin liegt der Glanz. Wenn Helmuth Moltke lernen und akzeptieren kann, dass auch Heinrich Himmler Gottes Kind ist, dann kann er es allein durch die Dankbarkeit für Freya, durch das Glück ihres Bildes. Sein Herz zittert noch, aber den Dank für Freyas Nähe hat er in keinem Moment verloren. Freyas Gegenwart ist der Beweis: Gott muss ihn liebhaben. Gott mag Himmler und Hitler aus der Sünde erretten. Aber Freya hat er nur Helmuth Moltke gegeben.
    Und vielleicht wird er im Jenseits nicht auf sie warten müssen. Wenn die Kategorien von Ort, Zeit oder Kausalität im Jenseits gar nicht mehr existieren, dann kommt er vielleicht gleichzeitig mit ihr dort an.
    Freya schwebt noch immer in Glück. Es war ein reines Glück, ihn zu sehen. Seine Augen, seine Stirn, sein Mund, seine Hände: Alles ist so, wie sie es erinnert. Alles ist, wie sie es weiß und als Bild in sich trägt. Sie öffnet seinen Brief,
    Wenn ich noch lange in dieser Lage bleibe, dann kenne ich die Hölle bald besser als Kreisau. Wenn mir Satan letzte Nacht nicht mit Schweif und Klauen erschienen ist, dann nur, weil nachts das Licht bei mir brennt. Dein schöner, köstlicher, herrlicher, erquickender Besuch, dieser Glanz, in dem sich noch einmal mein ganzes Leben zusammenzufassen schien –
    Sie versteht sofort. Sie weckt seinen Lebenswillen. So war es immer, von Anfang an: Sie hat ihn verführt, auf der Weltzu leben, sie hat ihm dieses Leben versüßt, und nun macht sie ihm das Sterben schwer. Aber das ist in Ordnung. Sie hält ihn auf der Welt fest, weil er sie liebt. Die Liebe ist es, die ihn bindet und quält, und die Liebe wird sie beide befreien und ihnen helfen, die bloße Kreatur zu überwinden.
    Meine Liebe ist ganz, ganz bei Dir und umfängt und wärmt Dich: Ach, mein Jäm, sie brennt mich wie Feuer! Sie findet Dich immer und ist bei Dir.
    Das schreibt sie. Dazwischen wäscht sie ein Hemd für ihn, bügelt es. Sie spült Geschirr. Sie steht in Dorothee Poelchaus kleiner Küche, um das Hasenvieh zu häuten, das sie von Freunden mitgebracht hat. Sie trennt den Kopf ab, zerlegt den Hasen in Vorderläufe, Schenkel und Rücken, schiebt die Messerspitze unter die zähe transparente Haut, die jeden Muskel umspannt, und schabt und reißt, bis die Haut nachgibt und sich abziehen lässt. Sie stellt sich vor, Helmuth käme zur Tür

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