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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Anklage nicht mehr zu rechnen. Freya ist auf dem Weg in die Afrikanische Straße. Sie bleibt jetzt manchmal auch über Nacht dort. Die Poelchaus und sie sagen inzwischen Du zueinander, jedenfalls wenn sie miteinander allein sind. Sobald eine der anderen Frauen dazukommt, kehren sie aber wieder zum Sie zurück: Niemand soll das Gefühl haben, nur ein Schützling zweiter Ordnung zu sein.
    Und wenn Brigitte Gerstenmaier die Poelchaus besucht, dann lässt Freya sie danach auch nicht allein in die spätherbstliche Dunkelheit hinausgehen. Brigitte wohnt ebenfalls in Lichterfelde. Gemeinsam steigen Freya und Brigitte in den U-Bahnhof hinab. Gemeinsam fahren sie quer durch die Stadt, die über ihnen in Flammen steht: Die Bomben fallen jetzt rund um die Uhr.
    Die Amerikaner bomben am Tag, die Briten in der Nacht. In der Morgenstille türmt sich der Qualm in schwarzen Wolken über den nördlichen Bezirken, wo noch viele Feuer brennen. Verbogene Stahlträger quälen sich aus der Kraterlandschaft der Stadt. Zerklüftete Mauern ragen aus verrußten Steinhaufen auf. Aber die U-Bahnen und S-Bahnen fahren noch immer,wenn auch nicht mehr zuverlässig. Trampelpfade winden sich über die Trümmer. Arbeiter gehen zur Arbeit, Bäckereien backen Brot, die Müllabfuhr holt den Müll ab, der Postbote bringt Post, die leeren Läden halten sich an die Öffnungszeiten. Und Helmuth Moltke hat begonnen zu hoffen.
    Er ist plötzlich vollkommen sicher, dass alles gut ausgeht. Er ist jetzt entschlossen, sich mit allen Kräften zu verteidigen. Sein Lebenswillen ist mit Macht zurückgekehrt. So ein Hoch gibt wahrscheinlich nur ein neues Tief, das ist ihm klar. Aber er kommt nicht dagegen an. Es ist auch angenehm, angenehm, angenehm. Nicht einmal die Nachricht, dass Edolf tot ist, vermag Helmuths Euphorie zu dämpfen. Hat er sich nicht immer auf aussichtslose Sachen eingelassen? Und hat ihn dies nicht immer getragen? Warum sollte es diesmal anders sein?
    »Helmuth hatte diese wunderbare Klarheit«, sagt Freya zu Harald Poelchau. »Nun verliert er sie wieder.«
    Aber Harald hat sie ja gewarnt, dass genau das geschehen könnte. Was kann Freya tun? Sie schreibt an Helmuth,
    Wenn ich Deine Anklage in aller Schärfe sehe, dann scheint es mir unerkennbar, wie Du den Klauen entgehen kannst.
    Sie muss ihn halten und loslassen, halten und loslassen.
    Aber dass Du trotzdem gerettet werden kannst, das glaube ich fest.
    Der Prozess soll nun am 13. sein. Und Freya hat tatsächlich noch einmal Sprecherlaubnis erhalten. Sie hat Landgerichtsdirektor Schulze erklärt, dass der Bestellungsplan wegen der Düngerkürzung geändert werden muss, und das könne sie nicht allein entscheiden.
    Der Trick hat einmal mehr funktioniert. Freya sitzt bei Helmuth, in Gegenwart des Gefängnisdirektors. Ist es dem Mannnicht peinlich? Da sieht er nun zu, wie ein Mann und eine Frau einander bei den Händen halten, einander in die Augen sehen. Helmuth spricht nicht. Er ist überwältigt davon, dass dies wahrscheinlich der Abschied ist, dass er Freya niemals wiedersehen wird. Helmuth glaubt an die Fortdauer ihrer Liebe zu ihm, seiner Liebe zu ihr. Aber dies ist doch groß, unfasslich groß. Freya nie mehr wiedersehen!
    Und Helmuth Moltke soll also nie wieder nach Kreisau fahren?
    Das kann nicht sein. Helmuth Moltke trommelt gegen die Mauern, die sich um ihn schließen, während er still auf seiner Pritsche sitzt. Er brüllt, er winselt, während kein Laut über seine Lippen dringt: Er soll nie wieder nach Hause dürfen? Einmal noch. Nur einmal noch sein Haus sehen, einmal noch von der Veranda zur Eule hinüberblicken, einmal den Fuß über die Schwelle setzen und sein Haus betreten, einmal noch Freya im Arm halten, in seinem eigenen Bett liegen, seine Frau im Arm halten und schlafen. Schlafen. Aber das ist ihm nicht vergönnt. Er ist wach. Er begreift: Alles war falsch. Das Gnadengesuch hat den falschen Ton, der Weg zu Hitler ist der falsche, Keitel darf keinesfalls eingeschaltet sein, es ist alles verdorben, es ist zu spät, und er selbst hat es ruiniert, mit seinem Hochmut, seiner Dummheit. Es überschwemmt ihn, es ertränkt ihn, dazwischen sieht er Freya, wie sie ihm heute gegenüberstand, kältegerötet, weich und warm und glühend, mit grauen Strähnen im Haar um ihr noch immer junges Gesicht. Das ganze Glück seines Lebens stand vor ihm. Der ganze Glanz.
    Dieser Glanz, der von seiner Frau ausgeht, schneidet ihm stählern ins rohe Fleisch. Ja, man kann mit dem Geist ringen, man kann

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