Wer wir sind
finden. Er beginnt.
Mein Lieber, denk mal, wie schön, dass ich noch ein Mal hier nach Tegel zurückgebracht worden bin, dass die Würfel, deren Fall schon genau feststeht, sozusagen auf der Kante noch einmal halten. So kann ich noch in Frieden einen Bericht schreiben.
Gestern ist er den Vernehmungen der anderen gefolgt. Heute war er selbst an der Reihe. Gegen fünfzehn Uhr hat Schulze die Anträge verlesen: Delp und Moltke Tod und Vermögenseinziehung. Gerstenmaier, Reisert und Sperr Todesurteil. Fugger drei Jahre. Schulze machte einen ganz guten Eindruck. Auch die Verteidiger waren nett, sie sprachen nach Schulze, und sie hielten sich wacker. So schält es sich allmählich heraus, dass der VGH eben doch ein richtiger Gerichtshof und die Verhandlung nicht nur eine Farce gewesen ist.
Diese Erkenntnis erleichtert Helmuth sehr. Der Prozess ist schließlich der Kulminationspunkt der ganzen Geschichte. Er ist der Höhepunkt, der Schlussakt des Dramas. Helmuth hört Freisler noch einmal losrattern,
Name, geboren, Eltern, Studium, Ausbildung, Tätigkeit, Ämter
Freisler hat die Fragen gestellt, und er hat auch die Antworten gegeben. Wenn Helmuth gelegentlich etwas einzuwerfen, zu ergänzen oder richtigzustellen hatte, verursachte das allenfalls eine momentane Drosselung des Tempos, dann ratterte die Maschinerie sofort wieder weiter.
»Und Yorck haben Sie wo kennengelernt?«
»Und Stauffenberg?«
»Und Goerdeler?«
»Soso, Sie sind also gegen einen Staatsstreich gewesen.«
Es lief wie geölt. Fast war es lustig. Dann kam Kreisau, das Pfingsttreffen 1942.
»Von dem Polizei und Abwehr volle Kenntnis hatten«, warf Helmuth ein.
Und wie hässlich dieser Sand im Getriebe der Maschinerie knirschte. Alles kam zum Stehen. Der Luftdruck sackte ab. Dann brach der Orkan los. Die Losung, die Eugen Gerstenmaier für den heutigen Tag gewählt hatte, erwies sich als äußerst passend,
Er sah aber einen starken Wind; da erschrak er und hob an zu sinken.
Helmuth hat jedoch standgehalten. Er saß in gefasster Erwartung des Todesurteils. Er hatte die Hände vor sich verschränkt, und er hatte den Blick nicht gesenkt, wenn auch Puls und Blutdruck stark anstiegen, als sicher verständliche, aber jedenfalls rein körperliche Reaktion auf das Geschrei.
»Ein Jesuitenpater war auf Kreisau! Ein protestantischer Querulant! Und drei der übelsten Verräter aus dem Grafenkreis, alle nach dem 20. Juli zum Tode verurteilt!«
Yorck, Trott, Haeften.
Helmuth öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Der vorne plärrte.
»Nein! Ruhe! Das höre ich mir gar nicht erst an! Nein, das dulde ich nicht, das mache ich nicht mit, ich verbitte mir jedes Wort!«
Helmuth wurde es etwas übel. Zu viel Coffeinpulver vielleicht, oder doch das andauernde Geschrei. Auch der Ischias meldete sich wieder. Das Ganze war lästig und überaus widerlich.
Aber wie albern ist doch ein Mensch, der tobt. Wie erbärmlich ist ein erwachsener Mann, der sich gebärdet wie ein ungezogenes Kleinkind, das sich auf den Boden wirft und mit denFüßen tritt. Helmuth in seiner Zelle, der Freya schreibt und nun noch einmal den hochroten Richter trotzen und plärren sieht, muss plötzlich lächeln.
Er muss noch einmal lächeln: Denn er hat auch im Gerichtssaal gelächelt.
Es steht ihm deutlich vor Augen. Er erinnert sich: Er hat gelächelt. Die Beisitzer erstarrten. Freisler freilich schäumte zu sehr, um überhaupt etwas zu bemerken. Er wetterte nun wieder gegen die Jesuiten, gegen die Kirche und das Christentum, vor allem aber gegen Kreisau. Alles, was mit Kreisau zusammenhing oder je mit Kreisau in Berührung gekommen war, war Hochverrat. Von Kreisau ging alles aus. Von Helmuth Moltke ging alles aus: Das sieht Helmuth nun.
Wie immer klären sich die Dinge im Gespräch mit Freya. Freisler hat Helmuth Moltke ins Zentrum gerückt. Das war eigentlich schon gestern offensichtlich,
Moltke hat also
Durch Moltke haben Sie
Sie haben mit Moltke
Moltkes Pläne
Der Kreis um Moltke
So ging es in einer Tour. Freislers Gedanken müssen im Grunde während dieses ganzen Prozesses unablässig um Helmuth Moltke gekreist sein, um ihn und um seine Rolle im Kreis der anderen.
Das ist wichtig. Freya muss sofort diejenigen, die noch in Freiheit sind, instruieren, jeden Zusammenhang mit Kreisau abzustreiten, auch den allerbanalsten. Einsiedel, Carl Dietrich Trotha, Peters: Sie müssen sich möglichst fern von ihm stellen. Sie müssen ihn verleugnen. Vor allem müssen sie leugnen, je Gespräche
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