Wer wir sind
Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
3
Die Ostfront ist in Auflösung. Die Räumungstransporte aus Ostpreußen haben begonnen, die Trecks sind aufgebrochen, viel zu spät. Und in Wartenberg ist Jürgen von Tresckow beigesetzt worden.
Henning von Tresckows Halbbruder war kein passionierter Jäger. Er wollte nur zu Weihnachten Fleisch beschaffen. In Frankfurt an der Oder hat man Jürgen noch das Bein abgenommen, das sich nach der Verletzung durch den Keiler entzündet hatte, aber am 18. Januar ist er der Blutvergiftung erlegen. Ruth von Kleist-Retzow ist zum Begräbnis ihres Neffen gekommen, auch die Wedemeyers sind von Pätzig herübergeeilt. Der letzte Herr auf Wartenberg wird in die gefrorene Erde gebettet, in ein Grab neben dem geschändeten, offen stehenden Grab seines Bruders. Wo ist der Leichnam Henning von Tresckows, was hat man mit ihm getan?
»Geben Sie zu, dass dies ein Russe ist.«
Fabian von Schlabrendorff steht im Krematorium des Konzentrationslagers Sachsenhausen, am Sarg Hennings, an dem noch die Erde Wartenbergs haftet. Seit seiner Verhaftung am18. August hat man ihn mehrfach gefoltert. Er hat einen Herzanfall erlitten. Nun steht Fabian in großer innerer Erschütterung an Hennings offenem Sarg.
»Geben Sie zu, dass Tresckow zu den Russen übergelaufen ist, und Sie haben statt seiner einen russischen Soldaten bestattet. Geben Sie zu, dass dies ein Russe ist.«
»Nein. Dies ist der General.«
»Wie können Sie das behaupten? Wie können Sie behaupten, das zu wissen?«
»Ich erkenne seine Hände.«
Vor Fabians Augen schiebt man Henning mit dem Sarg in die Flammen.
Hennings ältester Sohn lebt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Mark von Tresckow, der Liebling seines Vaters, Kanonier im Artillerieregiment 23, ist am 22. Januar bei Bentschen gefallen.
Eta weiß davon nichts. Sie geht jetzt. Unmittelbar nach Jürgen von Tresckows Beerdigung bricht sie auf. Sie zieht mit ihren Töchtern nach Westen, in Schnee und Eis, inmitten der endlosen Trecks, die vor den Russen über die Oder fliehen. Sie will nach Rittgarten zu Hennings Schwester Marie Agnes und ihrer Familie. Tante Hete bleibt.
Die Witwe Jürgen von Tresckows kann sich nicht losreißen von dem Schloss, das die Familie so liebt, vom See, in dem vor Jahren ihr Erstgeborener ertrunken ist, vom Grab ihres Mannes, das noch keinen Stein hat. Weinend steht sie auf der Schlosstreppe, als Eta mit ihren beiden Töchtern den offenen Wagen besteigt. An Hetes Seite steht ihr Sohn Rüdiger. Er ist erst sechzehn: Er ist noch nicht an der Front wie sein Bruder Christoph. Rüdiger wird dort auf der Treppe stehen, in ebendieser Haltung, wenn in ein paar Tagen die Russen in Wartenberg einrücken. Ein russischer Soldat wird seine Mutterpacken. Rüdiger wird sich dazwischenwerfen. Schüsse werden fallen. Hedwig von Tresckow wird sterben, neben ihrem sterbenden Sohn, während Wartenberg über ihnen in Flammen aufgeht.
Eta von Tresckow und die Mädchen werden das Gut Rittgarten in der Uckermarck erreichen, wo Hennings Schwester Marie Agnes mit ihrem Mann Dietloff von Arnim-Rittgarten und ihrer elfjährigen Tochter lebt. Die Arnims werden keine Erlaubnis zum Trecken erhalten. Eta wird mit westpreußischen Verwandten aus der Linie der Falkenhayns weiterziehen. Kurz darauf wird die Tochter Dietloff von Arnim-Rittgartens aus erster Ehe nach Rittgarten kommen, um nach ihrem Vater zu sehen und ihre Halbschwester abzuholen.
Sie ist verheiratet mit Karl Silex, der bis 1943 Paul Fechters und Ursula Kardorffs Vorgesetzter als Chefredakteur der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ war. Frau Silex ist selbst Mutter von drei Kindern.
»Gebt mir doch meine Schwester mit. Ich bitte euch, das Kind ist doch erst elf.«
»Mein Kind bleibt bei mir!«
Marie Agnes ist vielleicht nicht mehr ganz bei Verstand. Sie hat alle ihre Brüder verloren. Alle sind tot, alle werden sterben, es ist
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