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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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tief erschreckt. Aber allmählich wird ihm die Sache klar. Es wäre ja töricht von Freisler gewesen, wenn er die wahren Gründe für sein Urteil festgehalten hätte. Die offizielle Urteilsbegründung muss Helmuth also gar nicht berühren. Freisler ist bis in die tiefsten Tiefen gedrungen, er hat Helmuth erkannt, er hat ihn für das Richtige verurteilt. Und es ist ein Glück, dass das keiner mitbekommen hat.
    Wenn Freisler die Debatte um Christentum und Nationalsozialismus, um den Geist und den Nationalsozialismus offen geführt hätte, dann hätte er das ja mit Eugen und mit Delptun müssen, mit den beiden Theologen. Dann hätte sich Eugen schwerlich hinter der Maske des Schafskopfes verbergen können, die ihn nun rettet. Aber so, wie es nun einmal gewesen ist, ist die zentrale Aufgabe auf Helmuth Moltke gefallen. Er ist das Zentrum des Ganzen.
    Und nun werden ihm Freislers hochdramatische Worte endlich in ihrer Gänze klar.
    Das haben Ihr Christentum und der Nationalsozialismus gemeinsam: Sie verlangen beide den ganzen Menschen
    So hat Freisler dieses Wort gesprochen. Und er hat es nicht gesprochen als Vertreter des Nationalsozialismus. Er hat es gesprochen als Prophet Gottes. Durch Freislers Mund hat Gott Helmuth Moltke seinen Auftrag mitgeteilt. Darum waren diese Worte an Helmuth direkt gerichtet, darum hat nur er sie gehört und sonst niemand: Sie waren allein für ihn bestimmt. Das aber heißt nichts anderes, als dass der Prozess nicht der Schluss seines Lebens ist, sondern nur der Abschluss seiner Lehrjahre.
    Gott ist noch nicht fertig mit Helmuth. Der Auftrag ist mitnichten erfüllt, tatsächlich hat er gerade erst begonnen. Helmuth war Jona, im Bauch des Wals. Nun hat der Wal ihn ausgespien.
    Helmuth verfällt auf diese Idee, er weiß nicht, woher sie gekommen ist. Eine Stunde später haben sie Hofgang. Eugen Gerstenmaier geht neben Moltke.
    »Die Losung für heute«, sagt er. »Jona 2, 1–7.«
    Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich indie Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben, ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott!
    Freya hat noch einmal Sprecherlaubnis erhalten. Noch einmal sitzen sie beieinander, und Freya sieht in Helmuths Augen, in seine lieben Augen, voll seines großen Mitleids mit ihr.
    »Mein armer Pim. Für dich ist es schwerer als für mich. Das Zusehen ist schwerer.«
    Noch einmal küssen sie einander, lange und still, ganz und gar unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie nicht allein sind. Sie lieben einander nun schon so lange unter den Augen des Feindes. Freya zieht Helmuths Kopf zu sich herab. Sie malt das Kreuzchen auf seine Stirn.
    Aber die Arbeit beginnt ja nun von vorn. Neue Aufgaben warten auf Freya. Helmuth schreibt wie immer aus Tegel.
    Das Gnadengesuch, das zu Keitel gelangt ist, muss auf Himmler umgelenkt werden, damit es nicht doch noch an Hitler gerät und von ihm abgelehnt wird. Den Haftbefehl und die Benachrichtigung über meinen Tod würde ich vorschlagen, nicht nur ins Russische, sondern auch ins Polnische und Tschechische zu übersetzen.
    Du fährst wohl im Laufe der Woche, Dein Schwein zu schlachten.
    Helmuth ist guter Dinge. Er ist fest überzeugt, dass Gott ihm ein Zeichen gegeben hat: Helmuths Rettung steht nahe bevor. Freya staunt sehr über Jona und den Wal. Verwandelt Helmuth sich nun in Eugen? Freya glaubt keinen Moment an diesen Wal. Sie ist aber gern bereit, an ihn zu glauben. Warum auch nicht? Bei Eugen ist es ja so ausgegangen. Eugen hat andie Rettung geglaubt, und er ist gerettet. Freya sitzt mit Poelchaus, Marion Yorck und Davy Moltke um den runden Tisch in der Afrikanischen Straße, und gemeinsam verzehren sie den Perlhahn, den Marion und Davy mitgebracht haben.
    Auch Gertie Siemsen ist da. Die winzige Wohnung der Poelchaus ist ein Inselchen inmitten des allgemeinen Untergangs, und nun hat sich auch Harald Poelchaus ehemalige Kommilitonin und Geliebte hierher gerettet. Gertie ist schon im September ausgebombt worden, und im Februar soll das Kind kommen, dessen Vater Harald Poelchau ist. Dorothee fand, Gertie könnte

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