Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
einen Happen. Sarah lieferte ihr die Antwort auch so.
»Er sitzt wegen Mordes.«
Dass Sadie geschockt war, war wohl nicht zu übersehen.
»Natürlich ist er vollkommen unschuldig.«
Natürlich. »Kannten Sie ihn schon, bevor er … er … weggezogen ist?«
»Nein. Ich habe ihn über eine Brieffreunde-Website für Gefangene kennengelernt. Er sitzt schon seit zehn Jahren und hat noch zehn weitere vor sich, bevor er Anspruch auf Hafturlaub hat.«
Gütiger Himmel! Sadie erstaunte es immer wieder, dass es erstens Frauen gab, die einen Mann heirateten, der im Gefängnis saß, und zweitens auch noch darüber sprachen, als wäre das keine große Sache. »Da müssen Sie noch lange warten.«
»Bis dahin bin ich erst fünfunddreißig. Aber selbst wenn es länger dauert, ich würde bis in alle Ewigkeit auf Ramon warten.«
»Was hat sie gesagt?«, krächzte Nelma und zeigte mit der Gabel auf Sarah Louise.
»Sie erzählt Sadie gerade von diesem Mörder, mit dem sie liiert ist!«
»Ach, die Arme.«
Sadie tat Sarah Louise irgendwie leid. Es musste hart sein, in einer Kleinstadt zu leben und dafür bekannt zu sein, »diesen Mörder« geheiratet zu haben.
Tante Nelma beugte sich vor und schrie: »Hast du einen Freund, Sadie Jo?«
»Nein.« Sie hob ihr Glas Rotwein an die Lippen und trank einen Schluck. Es war immerhin schon nach sieben, und es war ihr wahrhaftig gelungen, die Frage bisher zu vermeiden. »Ich hab im Moment auch gar keine Zeit für einen Mann.«
»Bist du nicht nur einfach widerspenstig? Gehörst du etwa zu den Frauen, die sich einbilden, keinen Mann zu brauchen?«
Als Heranwachsende war ihr immer, wenn ihre Gedanken und Vorstellungen von denen der Herde abwichen, vorgeworfen worden, widerspenstig zu sein. »Nun, ich brauche auch keinen.« Zwischen wollen und brauchen lag ein himmelweiter Unterschied.
»Was hat sie gesagt?«, wollte Nelma wissen.
»Sadie braucht keinen Mann!«
Großartig. Jetzt wusste es der ganze Saal, aber die Tanten waren noch nicht fertig. Sie waren so eingefleischte Kupplerinnen, dass sie sich sogleich nickend ansahen. »Gene Tanner ist noch zu haben«, verkündete Ivella. »Die Arme.«
Gene Tanner? Das Mädchen, das während der ganzen Highschool-Zeit einen Bürstenhaarschnitt und Flanell getragen hatte? »Wohnt sie immer noch in Lovett?« Sadie hätte gutes Geld darauf verwettet, dass Gene schon lange weggezogen und nie zurückgekehrt wäre. Das Mädchen hatte sich noch weniger angepasst als Sadie.
»Sie lebt in Amarillo, aber besucht ihre Mama immer noch fast jedes Wochenende.«
Sadie hielt inne und wartete auf das Sticheln über ihre seltenen Besuche bei ihrem Vater.
»Sie arbeitet fürs Innenministerium und hat bestimmt eine gute Krankenversicherung.«
Sadie entspannte sich. Das war die Verwandtschaft ihrer Mutter, und die hatte noch nie viel für Clive Hollowell übrig gehabt. Sie hatten damals schon keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn zu kalt und gefühllos für ihre Johanna Mae fanden. »Mit separatem Zahntarif?«, fragte sie, um die Königin der Klugscheißer zu sein.
»Könnte ich mir vorstellen.« Bevor Nelma nachfragen konnte, legte Ivella die Hände um den Mund wie ein Megafon und schrie: »Sadie Jo will wissen, ob Gene Tanner einen separaten Zahntarif hat!«
»Als Frau kann man es schlechter treffen als mit einer Lesbe samt separatem Zahntarif«, murmelte sie und aß von ihrem Kartoffelpüree. »Jammerschade, dass ich morgen früh schon wieder abreise.«
Sarah Louise wirkte leicht entsetzt, neben einer mutmaßlichen Lesbierin zu sitzen, aber welches Recht hatte sie schon, über andere zu urteilen? Immerhin war sie mit »diesem Mörder« verheiratet, dem in den nächsten zehn Jahren nicht einmal Hafturlaub zustand.
Nach dem Essen folgten alle dem Brautpaar in den Festsaal, und Sadie konnte den Tanten entrinnen. Unter den Kronleuchtern, die den Saal in funkelndes Licht tauchten, tanzten die Frischvermählten zu I Won’t Let Go von Rascal Flatts den Eröffnungstanz. Es war ein wunderschöner Augenblick einer jungen Liebe, der die Zukunft weit offen stand, und wieder fühlte sich Sadie alt.
Dabei war sie erst dreiunddreißig. Sie nahm sich von einem Tablett, das herumgereicht wurde, ein Glas Wein und stellte sich neben einen Ficus, der mit rosa und weißen Schleifen geschmückt war. Sie war dreiunddreißig, alt und allein.
Als Nächstes tanzte Tally Lynn mit Onkel Jim zu All-American Girl . Sie strahlten übers ganze Gesicht und lachten, und Onkel Jim
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