Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
sah seine Tochter mit unverkennbarer Liebe und Zuneigung an. Sadie konnte sich nicht erinnern, wann ihr Daddy sie je so angesehen hätte. Sie redete sich gern ein, dass er es durchaus getan hatte und sie sich nur nicht daran erinnerte.
Sie lehnte einen Tanz mit Rusty ab, hauptsächlich, weil sie Angst hatte, dass ihr die Brüste aus dem Kleid hüpften, aber auch weil er seine Freundin wirklich zu mögen schien.
»Hey, Sadie Jo.«
Sadie drehte sich um und sah in ein Paar tiefbraune Augen. Um die Musik der Band zu übertönen, rief sie: »Flick?«
Ihr Freund aus der zehnten Klasse breitete die Arme weit aus, wodurch unter seinem US-Flaggenhemd eine kleine Wampe hervorblitzte. »Wie geht’s dir, Mädchen?«
»Gut.« Sie reichte ihm die Hand, doch er riss sie so stürmisch in die Arme, dass ihr Wein überschwappte. Als sie seine Hand auf ihrem Po spürte, fiel ihr wieder ein, warum sie nur kurz mit Flick Stewart zusammen gewesen war. Er war ein Grabscher. Zum Glück hatte sie nie mit ihm geschlafen. »Wie ist es dir ergangen?«
»Ich hab geheiratet und ein paar Kinder gekriegt«, sagte er ihr ins Ohr. »Seit letztem Jahr wieder geschieden.«
Verheiratet und geschieden? Sie machte sich von ihm los.
»Willste tanzen?«, rief er über die Musik hinweg.
Mit Flick, dem Grabscher? Die Gesellschaft ihrer Tanten erschien ihr plötzlich höchst amüsant. »Später vielleicht. Hat mich gefreut, dich wiederzusehen.« Sie floh in die Empfangshalle, wo sie Nelma und Ivella an einem Tisch mit Tante Bess beim Plaudern vorfand. Bess war die jüngste Schwester, zehn Jahre jünger als ihre Mutter, aber auch schon Mitte sechzig.
Sie setzte sich dazu, um ihre Füße in ihren zehn Zentimeter hohen Pumps zu entlasten, und in Sekundenschnelle fingen die drei Tanten wieder an, sie über ihr Leben und ihre fehlende Beziehung auszuquetschen. Sie trank einen Schluck Wein und fragte sich, wie lange sie noch bleiben musste, bevor sie endlich nach Hause gehen durfte, um aus ihrem engen Kleid rauszukommen. Bis sie ihre Sachen packen, auf ihren Vater warten und ins Bett gehen konnte. Sie wollte schon im Morgengrauen aufbrechen.
»Ich freue mich so, dass du hier bist, Sadie Jo«, sagte Tante Bess mit einem traurigen Lächeln. »Es ist, als bekämen wir ein Stück von Johanna Mae zurück.«
Wenigstens war das ein Themawechsel, aber Sadie wusste nie, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte sich immer gewünscht, es zu wissen, aber sie tat es nicht. Einfach ganz instinktiv zu wissen, wie sie die Familie ihrer Mutter über ihren Verlust hinwegtrösten konnte, doch ihr fehlten immer die Worte.
»Ich erinnere mich noch an den Abend, als sie Miss Texas wurde. Der Wettbewerb fand in Dallas statt, und als besonderes Talent hat sie Tennessee Waltz zum Besten gegeben.«
Ivella nickte. »Sie hat gesungen wie ein Engel. Miss Patti Page hätte es nicht besser machen können.«
»Nun, da enden die Ähnlichkeiten zwischen meiner Mutter und mir schon. Ich kann nicht singen.«
»Hä? Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, sie kann keinen Ton halten! Die Arme.«
Tante Bess verdrehte die Augen und hielt sich die Hände wie ein Megafon vor den Mund. »Wo sind deine Hörgeräte, Nelma?«
»Auf meinem Nachttischchen! Ich hab meine Ohren rausgenommen, damit ich mir nicht den lieben langen Tag das Gekläffe von Velma Pattersons Hund Hector anhören muss, und dann vergessen, sie wieder reinzumachen! Ich hasse diesen Köter! Velma lässt ihn absichtlich bellen, weil sie ein gemeines Luder ist!«
In Sadies Schläfen pochte ein dumpfer Schmerz, während die Tanten sich um Hörgeräte und lästige Kläffer zankten, aber wenigstens waren sie von ihrem verbesserungswürdigen Liebesleben abgekommen. Zumindest vorerst.
Nur noch fünf Minuten , sagte sie sich und trank ihren Wein aus. Sie spürte eine warme Hand auf ihrer nackten Schulter und hob den Blick über den Rand ihres Glases nach oben. Vorbei an einer aufgebügelten Khakihose und einem blauen Herrenhemd auf breiten Schultern. Der Kragen an dem kräftigen Hals stand offen, und sie musste sich zwingen, den Wein in ihrem Mund herunterzuschlucken. Ihr Blick glitt weiter über das markante Kinn und die Lippen zur Nase, und sie sah in ein Paar hellgrüne Augen.
»Entschuldigen Sie die Verspätung.« Die tiefe, samtige Stimme brachte alle Gespräche zum Verstummen.
Sadie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und erhob sich. Sie wusste nicht, welches Gefühl in ihr vorherrschte, Schreck oder Erleichterung.
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