Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
in ein Handtuch wickelte und auch noch das Medizinschränkchen in seinem Bad absuchte. Alles, was sie darin fand, waren eine halb leere Tube Zahnpasta und ein Mittel gegen Sodbrennen. Auch als sie ins Bett ging, redete sie sich ein, dass er wieder gesund würde. Nur wenige Stunden später wachte sie wieder auf und schnappte sich die kleine Tasche, die sie noch zu Hause gepackt hatte. Sie redete sich ein, dass er für sein Alter noch fit war. Auf der Fahrt zum Flughafen rief sie ihre Assistentin Renee an, um sie zu informieren, dass sie noch eine Woche wegbliebe, und erteilte ihr Anweisungen, was während ihrer Abwesenheit zu tun war.
Als sie den Flieger von Amarillo nach Houston bestieg, dachte sie an all die Male, die ihr Vater schon von Pferden abgeworfen oder von einer halben Tonne schweren Jungochsen herumgestoßen worden war. Vielleicht war sein Gang danach ein bisschen steif gewesen, aber überlebt hatte er es immer.
Während sie am Flughafen von Houston auf ihren einstündigen Anschlussflug nach Laredo wartete, redete sie sich ein, dass ihr Daddy ein Überlebenskünstler war. Auch als sie sich einen Wagen mietete, die Koordinaten in das Navi eingab und zum Doctor’s Hospital fuhr, sagte sie sich das immer wieder. Als sie schließlich den Fahrstuhl zur Intensivstation nahm, hatte sie sich fast davon überzeugt, dass die Ärzte den Zustand ihres Vaters zu schwarz gemalt hatten, dass sie ihren Vater noch am selben Tag mit nach Hause nehmen könnte, doch als sie das Zimmer betrat und ihren Daddy grau und abgehärmt, mit Sonden im Mund, dort liegen sah, konnte sie sich nicht mehr selbst belügen.
»Daddy?« Sie trat zu ihm ans Bett. Auf seiner Wange prangte ein Hämatom, und in seinem Mundwinkel klebte getrocknetes Blut. Apparate tropften und piepsten, und das Beatmungsgerät gab unnatürliche Sauggeräusche von sich. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und sie holte zitternd Luft. Tränen brannten in ihren Augen, aber sie fielen nicht. Wenn ihr Vater ihr eines beigebracht hatte, dann dass große Mädchen nicht weinten.
»Beiß die Zähne zusammen«, hatte er sie stets ermahnt, wenn sie am Boden lag und ihr der Hintern wehtat, weil eins seiner Paint Horses sie abgeworfen hatte. Und sie hatte gehorcht. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte.
Also fraß sie es in sich hinein und trat zu ihm ans Bett. Sie nahm die kühle, trockene Hand ihres Vaters. An seinem Zeigefinger klemmte ein Pulsoximeter, wodurch die Fingerspitze glutrot angelaufen war. Hatte seine Hand gestern auch schon so alt ausgesehen? Hatten die Knochen so weit vorgestanden, waren die Fingerknöchel so dick gewesen? Seine Wangen und Augen sahen eingefallener aus, seine Nasenlöcher eingesunken. Sie beugte sich näher zu ihm. »Daddy?«
Die Apparate piepten, das Beatmungsgerät hob und senkte seine Brust. Er schlug die Augen nicht auf.
»Hallo«, begrüßte sie eine Schwester, die fröhlich hereingeschneit kam, »ich bin Yolanda.« Happy Rainbows und Smiley-Sonnen zierten ihren Krankenhauskittel; der heitere Stoff stand in krassem Widerspruch zur ernsten Atmosphäre im Raum. »Sie müssen Sadie sein. Die Schwester, mit der Sie gestern Abend telefoniert haben, hat Sie erst für heute Nachmittag angekündigt.« Sie kontrollierte alle mechanischen Anzeigen und überprüfte den Infusionsschlauch.
Sadie legte die Hand ihres Vaters wieder aufs Bett und machte ihr Platz. »Wie geht es ihm?«
Yolanda, die das Etikett auf dem Infusionsbeutel studierte, blickte auf. »Haben Sie schon mit seinen Ärzten gesprochen?«
Sadie schüttelte den Kopf und stellte sich ans Fußende. »Sie haben versucht, mich zu erreichen, während ich im Flugzeug saß.«
»Es geht ihm seinem Alter entsprechend gut.« Sie lief auf die andere Seite des Bettes und überprüfte den Katheterbeutel. »Heute Morgen haben wir ihn kurz aus seiner Sedierung geholt. Er war ziemlich aggressiv.«
Klar war er das.
»Aber das ist normal.«
»Warum unterbrechen Sie die Sedierung denn, wenn alles normal ist?«, fragte sie, weil es ihr einfach unnötig erschien.
»Diese Unterbrechungen helfen ihm dabei, sich seiner Umgebung und seines Zustandes bewusst zu werden, und unterstützen den Entwöhnungsprozess.«
»Wann wird er denn entwöhnt?«
»Schwer zu sagen. Das hängt davon ab, wann er wieder selbstständig atmen kann und seine Sauerstoffversorgung ausreichend ist.« Yolanda stellte das Kopfteil seines Bettes hoch und überprüfte noch ein paar Linien und
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