Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
High Heels in die Finger gehakt trat sie an den Kühlschrank. Sie hatten sich doch schon vorhin verabschiedet. Die beiden hätten wirklich nicht auf sie zu warten brauchen. Nett von ihnen, aber unnötig.
»Ach, Sadie, ich bin so froh, dass du endlich zu Hause bist.«
Mit der freien Hand am Griff der Kühlschranktür warf sie den beiden einen verwunderten Blick zu. »Warum?« Sie schaute von einem besorgten Gesicht ins andere, und die Ereignisse der letzten Stunde lösten sich in nichts auf.
Clara Anne, die emotionalere Zwillingsschwester, fing laut an zu weinen.
»Was ist los?« Sadie drehte sich zu ihnen. »Ist Daddy schon zu Hause?«
Carolynn schüttelte den Kopf. »Nein, Herzchen. Er ist in Laredo im Krankenhaus.«
»Geht es ihm gut?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Der Deckhengst hat ihn getreten und ihm mehrere Rippen gebrochen, die ihm den linken Lungenflügel durchstochen haben.« Sie presste die Lippen zusammen. »Er ist zu alt, um sich mit diesen Deckhengsten rumzuärgern.«
Mit einem Rums-Bums fielen Sadies Schuhe zu Boden. Da musste ein Irrtum vorliegen. Ihr Vater ging immer super vorsichtig mit hypernervösen Deckhengsten um, weil sie so unberechenbar waren. Er war zäh wie altes Schuhleder, allerdings inzwischen fast achtzig. Sie schüttelte ihren Mantel ab und lief zur Essecke. »Aber er hat schon sein Leben lang mit diesen Pferden zu tun gehabt.« Hatte sie gezüchtet. American Paint Horses waren für Clive schon immer mehr als nur ein Hobby gewesen. Sie lagen ihm viel mehr am Herzen als Viehzucht, aber Viehwirtschaft war lukrativer. Sie hängte ihren Mantel über eine Stuhllehne und setzte sich neben Carolynn. »Er ist doch immer so vorsichtig.« Er war schon oft getreten, niedergetrampelt und abgeworfen worden, hatte sich aber nie ernsthaft verletzt. Nie eine Verletzung davongetragen, die mehr als ein paar Stunden im Krankenhaus erforderlich gemacht hatte, wo er rasch wieder zusammengeflickt wurde. »Wie konnte das nur passieren?«
»Ich weiß nicht. Tyrus hat vor ein paar Stunden kurz angerufen und gesagt, mit dem Führstrick wäre was schiefgegangen. Dein Daddy wollte ihn festbinden und ist dabei irgendwie zwischen Maribell und Diamond Dan geraten.«
Tyrus Pratt war der Vorarbeiter, der auf der JH-Ranch für die Remuda zuständig war. Dazu gehörten nicht nur die Paint Horses, sondern auch eine große Anzahl von Cattle-Horses. »Warum hat mich keiner benachrichtigt?«
»Wir hatten deine Handynummer nicht.« Clara Anne schnäuzte sich und fügte kleinlaut hinzu: »Deshalb sitzen wir auch hier und warten auf dich.«
Und während sie gewartet hatten, hatte sie sich von einem Typen befummeln lassen, den sie kaum kannte. »Wie ist Tyrus’ Nummer?«
Clara Anne schob Sadie einen Zettel hin und deutete auf die oberen Zeilen. »Da ist auch die Nummer des Krankenhauses in Laredo. Tyrus’ Nummer steht direkt darunter. Er bleibt dort und übernachtet im Hotel.«
Sadie stand auf und nahm den Hörer vom Festnetztelefon an der Wand. Sie rief im Krankenhaus an, erklärte ihr Anliegen und wurde mit dem Notaufnahmearzt verbunden, der ihren Vater als Erster behandelt hatte. Der Mediziner benutzte viele wichtig klingende Worte wie »traumatischer Pneumothorax« und »Thoraxhöhle«, was übersetzt in etwa bedeutete, dass Clives Lunge aufgrund stumpfer Gewalteinwirkung kollabiert war und er eine Thoraxdrainage hatte. Er hatte vier gebrochene Rippen, zwei davon verschoben, und eine Schädigung der Milz davongetragen. Die Ärzte waren vorsichtig optimistisch, dass keine der Verletzungen eine Operation erfordern würde. Momentan lag ihr Vater an ein Beatmungsgerät angeschlossen auf der Intensivstation und wurde stark sediert, bis er wieder selbstständig atmen konnte. Die größte Sorge des Mediziners galt Clives Alter und dem Risiko einer Lungenentzündung.
Von ihm erfuhr Sadie auch den Namen und die Telefonnummer des Lungenspezialisten, der ihren Vater weiterbehandelte, sowie die des Arztes für Geriatrie, der seine Behandlung koordinierte.
Arzt für Geriatrie . Sadie hing in der Warteschleife, während sie mit dem Schwesternzimmer auf der Intensivstation verbunden wurde. Ein Spezialist für die Behandlung betagter Menschen. Alt hatte sie ihren Dad zwar schon immer gefunden. Er war von jeher älter gewesen als die Väter anderer Mädchen ihres Alters. Er war immer altmodisch gewesen. Immer alt und in seinen Gewohnheiten festgefahren. Immer alt und griesgrämig, für betagt hatte sie ihn allerdings
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