Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
Skalen. »Ich informiere seine Ärzte, dass Sie hier sind. Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie Bescheid.«
Also setzte sich Sadie auf einen Stuhl an seinem Bett und wartete. Sie wartete bis nach fünf, als der Lungenspezialist endlich aufkreuzte, um ihr zu sagen, was sie zum größten Teil sowieso schon wusste. Clive hatte gebrochene Rippen, eine durchstochene Lunge und einen Milzschaden, und sie mussten abwarten, wie die Behandlung anschlug. Die Informationen des Arztes für Geriatrie waren aufschlussreicher, obwohl er Dinge sagte, die sie schmerzten. Die Behandlung älterer Patienten stellte das Krankenhauspersonal vor ganz andere Herausforderungen, und der Mediziner klärte Sadie über das erhöhte Risiko einer akuten Atelektase, einer Lungenentzündung und einer Thrombose auf. Bei Patienten über sechzig war die Wahrscheinlichkeit, ihren Verletzungen zu erliegen, doppelt so hoch wie bei jüngeren Patienten.
Sadie rieb sich das Gesicht. Über akute Atelektase, Lungenentzündung und Thrombose wollte sie gar nicht erst nachdenken. »Wie lange muss er im Krankenhaus bleiben, wenn diese Risikofaktoren nicht eintreten?«
Der Arzt sah sie nur an, und da wusste sie, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde. »Wenn nicht ein Wunder geschieht, hat Ihr Vater einen langen Genesungsprozess vor sich.«
Ihr Vater war zwar alt, aber auch sehr stark, und wenn irgendjemand auf wundersame Weise genesen konnte, dann war es Clive Hollowell.
An jenem Abend ging sie nach dem Krankenhausbesuch ins nächstgelegene Einkaufszentrum, wo sie sich Unterwäsche bei Victoria’s Secret und ein paar leichte Sommerkleider und Yogaklamotten bei Macy’s und Gap kaufte. Dann mietete sie sich im Residence Inn ganz in der Nähe der Klinik ein und schickte ihre neuen Sachen zum Wäschereiservice des Hotels. Sie checkte ihre E-Mails und las sich sorgfältig das Gebot eines potenziellen Käufers für ein Milliarden-Dollar-Anwesen in Fountain Hills durch. Sie informierte ihren Kunden telefonisch darüber, erstellte ein Gegenangebot und straffte den Text noch ein wenig. Dann faxte sie die gegengelesenen Änderungen per E-Mail an den Makler des potenziellen Käufers. Auch wenn sie in Laredo festsaß, hatte sie alles im Griff. Sie wartete auf die Rückmeldung des Maklers, rief ihren Kunden wieder an, und sie machten das Geschäft perfekt. Die letzten Details des Abschlusses konnte Renee allein regeln, und Sadie ging ins Bett und schlief tief und fest bis acht Uhr am nächsten Morgen.
Ihre neuen Klamotten waren inzwischen auch sauber und warteten vor der Hotelzimmertür auf sie. Sie duschte, erledigte ein paar Sachen am Computer und war rechtzeitig zur Morgenvisite im Krankenhaus. Sie war dabei, als der Atemschlauch ihres Vaters gereinigt wurde und als er an Händen und Füßen fixiert und für kurze Zeit aus der Sedierung geholt wurde. Sie erklärten ihm, wo er sich befand und was mit ihm passiert war. Auch dass Sadie da war, sagten sie ihm.
»Ich bin da, Daddy«, sagte sie, als er an den Riemen zerrte, die seine Handgelenke festhielten. Seine blauen Augen, wild und konfus, drehten sich in die Richtung, aus der ihre Stimme kam. Ein gequältes Stöhnen entstieg seiner Kehle, als das Beatmungsgerät Luft in seine Lunge zwang. Beiß die Zähne zusammen, Sadie. »Schon gut. Alles wird gut«, log sie. Als sie ihn wieder sedierten, beugte sie sich nahe an sein Ohr und versprach ihm: »Ich komme morgen wieder.« Dann schlang sie die Arme um sich und verließ das Zimmer. Sie hielt sich selbst fest, genau wie in ihrer Kindheit, wenn sie niemanden gehabt hatte, an dem sie sich festhalten konnte. Als es niemanden gegeben hatte, der sie in die Arme nahm, wenn ihr Leben aus den Fugen geriet. Sie lief auf eine Fensterreihe am Ende des Korridors zu und blickte auf einen Parkplatz mit Palmen hinaus, ohne überhaupt etwas wahrzunehmen. Sie zitterte am ganzen Körper, und sie umarmte sich fester. Beiß die Zähne zusammen, Sadie. Große Mädchen weinten nicht, nicht einmal, wenn es so einfach gewesen wäre. So leicht, es einfach rauszulassen, statt es in sich reinzufressen.
Sie atmete einmal tief durch, und als sie wieder in das Zimmer ihres Vaters trat, lag er still und friedlich da.
Am nächsten Tag lief es ganz ähnlich ab. Sie sprach mit den Ärzten über seine Fortschritte und seine Behandlung, und wie am Vortag zwang sie sich, an seinem Bett zu stehen, als sie ihn aus der Sedierung holten. Sie war die Tochter ihres Vaters. Sie war zäh, auch wenn sie litt wie
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