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und genaues Alter unbekannt. Ich schätze ihn auf knapp vier. Ein wenig zu kurz geraten, der kleine Mann. Armer Kerl. Ganz verstört steht er mit einer großen Decke und am Daumen nuckelnd im Eingang. Eine Ecke des mitgeführten Tuchs hält er sich dabei an seine linke Backe. Es muss wohl sein Schmuseamulett sein.
Sie zumindest stellt sich vor. Beate Jerricke – so ihr Name – beginnt in einem sehr überzeugenden Ton, auf mich einzureden.
»Ich weiß, es ist viel verlangt, aber können Sie ein bis zwei Stunden auf meinen Sohn Kurt aufpassen?«, fragt mich die Frau, die ich wiederum auf Ende dreißig schätze.
Ob er mit diesem Dunkel-Vokal-Namen wohl auch Probleme in der Kita-Gruppe hat? Unerheblich, ich winde mich wie ein Aal, der allerdings seit Tagen in einem Fischladen vergammelt.
»Das kommt aber unerwartet. Wissen Sie, ich habe viel zu tun, weil ich an meiner Doktorarbeit zum Thema … Reproduktionsmedizin schreibe und …«
»Ach. Sie wissen ja gar nicht, wie sehr Sie mir helfen! Ich bekomme nämlich jetzt Besuch von meinem … Buchklub – und der Kleine langweilt sich sonst so«, sagt Frau Jerricke und bugsiert ihren Sohn in meine Diele. Die Tür zieht sie hinter sich zu.
Perplex über solch eine Dreistigkeit kann ich zunächst nicht umhin, den unerwünschten Besucher blöde anzustarren.
Er starrt zurück …
… und beginnt zu weinen, als ob ich gerade seinem Lieblingsstofftier einen Arm ausgerissen hätte.
Wie gut, dass Kinderpsychologie einmal mein erklärter Berufswunsch war, allerdings mit dreizehn Jahren und diese Überlegung ging mir auch nur für einige Sekunden durch den Kopf.
»Ja. Hallo! Ich bin der Onkel Andreas. Weißt du, vielleicht willst du ja was Süßes? Schokolade? Hab keine Angst. Ich bin nicht einer dieser perversen Fremden, von denen du nichts zum Naschen annehmen darfst.«
Ich schaue ihn mit einem gezwungenen Lächeln an und er ist tatsächlich für mein Angebot empfänglich. Drei Sekunden hält er still, um dann schüchtern zu nicken.
Nur zu dumm, dass ich gar keine Süßigkeiten habe. Der Notfallplan ist nichts anderes als die albernste Ausrede, die ich jemals hatte.
In der Not frisst der Teufel Fliegen, heißt es so schön. Ob man dem Knirps eine trockene Scheibe Zwieback mit einer ein Zentimeter dicken Schicht Nuss-Nugat-Creme als Süßigkeit verkaufen kann? Den Versuch ist es wert.
Aus der Küche eile ich in den Flur zurück. Plan B muss gut sein, ansonsten habe ich ein Problem.
»Na Kleiner. Hier guck, was der Onkel Andy Schönes für dich hat. Einen Müsli-Keks!«, sage ich und reiche ihm den Teller mit der dümmsten Praline der Welt.
Den Mund weit aufreißend beißt er ein erstes Stück ab.
»Ja, da hat aber jemand Hunger – und was machen wir jetzt? Sollen wir eine Runde spielen?«
Für mich bange Momente muss Kurt länger überlegen. Spricht der eigentlich schon ganze Sätze? Hoffentlich fängt er nicht wieder an zu heulen.
»Ja. ’Pielen«, strahlt mich Kurt an.
»Dann lass uns mal sehen, was wir machen können!«
Zusammen gehen wir in mein Schlafzimmer, wo sich – genau wie in der alten Wohnung – meine Cola-Dosen-Sammlung befindet. Natürlich bin ich nicht so dumm und will ihm die Sammlerstücke zur Beschäftigung geben – zumal ich mir ein Spielen damit sehr langweilig vorstelle. Ich will eigentlich mit ihm auf den Balkon, um ihm ein paar Kieselsteine in die Hand zu drücken. Einen Sandkasten habe ich schließlich nicht, vielleicht kann er ja ein paar Kieselsteinburgen bauen?
Naiver Kerl, der ich bin, habe ich Kurt für einen Bob der Baumeister Typen gehalten, aber es scheint, dass er auch etwas mit Science-Fiction anzufangen weiß.
»Läserswärt. Haaaben!«, sagt er, während er auf ein altes Geburtstagsgeschenk meiner Schwester deutet, welches mit den Star-Wars-Cola-Dosen von 1997 zusammen ausgestellt ist.
»Aber nicht doch. Das ist nur für große Jungs. Wir wollten doch draußen spielen. Frische Luft ist gesund!«
Er setzt das Plärren fort. Was soll’s. Das Objekt seiner Begierde hat einen eher ideellen Wert für mich. Nachdem ich die Vitrine aufgeschoben und das Teleskop-Schwert entnommen habe, lege ich es vor Kurt auf den Boden. Ohne zu zögern, nimmt er das Schwert in die Hand.
Clever ist er obendrein. Schnell hat er herausgefunden, wie man die ungefährliche Plastikklinge ausfährt. Nun steht er mit einem Laserschwert vor mir, das fast so lang wie er groß ist. Sichtlich zufrieden schwingt er die rote Waffe Darth
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