Werbevoodoo
vierstelligen Skala!« Beide lachten.
»Ja, ja, das waren Zeiten«, seufzte Andreas, und tätschelte der glänzenden Maschine den Hintern, »als ich noch jeden Tag poliert worden bin.« Beide wieherten nun, und bevor das Ganze endgültig in Richtung Herrenwitz abdrehte, nahm Wondrak einen Löffel Zucker und streute ihn auf den Schaum, der die Mitte der Espressotasse krönte.
»21, 22, 23, 24, 25, 26«, zählte er, dann war der Zucker endlich in der sahnigen Bettdecke der Crema abgetaucht. »Alle Achtung, länger als vier Sekunden bleibt bei mir der Zucker nicht oben!« Wondrak lobte ausführlich die haselnussige Farbe des Schaumes, seine Festigkeit, und verrührte währenddessen den Zucker. Mit so ein, zwei Dingen konnte man seinen Ehrgeiz wecken. Espressomachen gehörte sicher dazu. Bis zum heutigen Tage war er fest davon überzeugt, den besten Espresso Fürstenfeldbrucks zu machen. Und auf diese Überzeugung führte er auch seine Erfolge als Kriminalist zurück.
»Verhöre? Das sind doch keine Verhöre! Das sind Kaffeekränzchen! Kuraufenthalte!«, hatte damals sein erster Hauptkommissar gewettert, als er in die friedliche Atmosphäre eines nachmittäglichen Kreuzverhörs platzte. Vor mehr als zehn Jahren war das gewesen, da arbeitete er noch mit seinem Partner Theo und der Pavoni Europiccola zusammen, einer kleinen Espressomaschine, die eine Augenweide war, in ihrer Dampfmaschinen-Aufmachung und mit dem Handhebel, mit dem man das heiße Wasser durch den Kaffee drückte. Die Prozedur der Kaffeezubereitung war wunderschön anzusehen, aber der Espresso schmeckte immer ein wenig verbrannt, trotzdem waren die Ergebnisse der Verhöre und das Tempo, in dem sie entstanden, so eindrucksvoll, dass die Kritik an der Wondrak-Methode schnell verstummte.
Als Theo nach Rosenheim zurückging, weil er ein Haus am Chiemsee geerbt hatte, verfeinerte Wondrak seine Verhörmethoden und damit auch seinen Kaffeegeschmack.
Er wusste nun, wie leicht sich Gegenwehr mithilfe der Geschmacksknospen überrumpeln ließ. Wie wichtig es war, im Verhör statt einer Atmosphäre der Vorhölle ein Klima des Vertrauens und des Respekts herzustellen.
Die Kollegen, die das Good-cop-und-bad-cop-Spielchen spielten, waren komplett auf dem Holzweg. Wondraks Methode war das brutale Überrumpeln durch Freundlichkeit. Menschen, die ihr Leben auf Hass, Aggression und Angriff aufgebaut hatten, waren vollkommen hilflos gegenüber diesen Attacken voller zuvorkommender Höflichkeit.
In Wondraks Revier wurden Verdächtige wie Gäste empfangen, statt Schreiattacken bekamen sie einen Kaffee allererster Güte serviert, und als Gegenleistung erhielt er hier ein Geständnis und da einen etwas besseren Hinweise als jeder andere Kommissar. Der bayerische Innenminister brüstete sich im vertrauten Kreis damit: Die Amerikaner haben das Waterboarding erfunden und wir das Kaffeeboarding.
Bei seinen Schülern an der Fachhochschule für Polizeiwesen hatte diese Methode einen weiteren Vorteil: Sie half Wondrak, die schießwütigen Vorstadtbullen von den cleveren Humankriminalern zu unterscheiden. »Was ist das Erkennungszeichen einer zivilisierten Nation? Es ist nicht die Anzahl der Konzertsäle oder der Museen. Es ist die Art, wie wir unsere Gefangenen behandeln. Und ihr seid die Grundlage dieser Zivilisation!«
Die Schüler, die nach diesem Appell ein Leuchten in den Augen hatten, wurden Wondraks Schüler. Die anderen vergaß er sofort wieder.
Es wäre daher keineswegs übertrieben gewesen, zu behaupten, dass es auf der Welt keinen zivilisierteren Ort als Fürstenfeldbruck gäbe.
Wondraks Methode, die oft kopiert wurde, funktionierte nur unter seiner Regie wirklich perfekt. Alle vermuteten, dass es Wondraks besondere Art war, wie er seine Fragen stellte und wie er seine Nachdrücklichkeit mit einer Zuneigung zu seinem Gegenüber verpackte, aber tief drinnen in Wondrak schlummerte der Verdacht, dass sein einziges Geheimnis im Kaffee lag. Dem unübertrefflichsten Espresso der Welt. Oder zumindest Fürstenfeldbrucks.
Im Kaffeemaschinenladen von Andreas geriet der Unübertreffliche urplötzlich ins Wanken. Hier beschlich Wondrak nämlich das ungute Gefühl, dass die alte Faema, die er aus seinem Privatbesitz ins Kommissariat überführt hatte, vielleicht doch nicht unschlagbar war. Das würde natürlich bedeuten, dass die Wondrak-Methode ebenso überbietbar wäre. Nicht auszudenken.
Als alter Espressonist wartete er nun, bis sich der Kaffee ein wenig
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