Werbevoodoo
abgekühlt hatte, denn Andreas hatte die Tassen vorgeheizt, und weil er die Crema noch ein bisschen strapazieren wollte, rührte er und rührte er. Aber es war wie verhext. Statt zusammenzufallen, blieb der Schaum fest.
Schließlich fügte sich Wondrak ins Unvermeidliche und setzte die Tasse an die Lippen. Ein bisschen fühlte es sich an wie ein Seitensprung. Ein Verrat an seiner eigenen Faema. Können Kaffeemaschinen eifersüchtig werden?
»Mhm, guter Kaffee, welche Sorte? Pellini?«
»Klar. Den billigsten. Lieber einen billigen Kaffee als eine billige Maschine. Was mich das Biest mehr kostet, das kann ich alles wieder reintrinken.« Wondrak und Andreas waren sich einig: Nur Besitzer von schlechten Maschinen kaufen Kaffees, die über in Mondnächten gefälltem Eukalyptusholz geröstet werden und zehn Euro kosten. Pro Viertelkilo! Idioten! Wobei die Rechnung, die Andreas aufmachte, keineswegs weniger idiotisch war: Allein die Stromkosten seiner Maschine beliefen sich nämlich auf 800 Euro pro Jahr. Um das hereinzutrinken, musste er eine Menge Kaffee kochen. So ein Bohnenmehl-Oldtimer musste nämlich Tag und Nacht durchlaufen, um das ewige Leben zu erreichen. Oder zumindest die Lebenserwartung seines Besitzers. Heiß bleiben, war das Geheimnis. Abkühlen war Gift für Kessel, Dichtungen und Leitungen. An all das dachte Wondrak, während er an dem Kaffee herumschmeckte, er gab sich wirklich alle Mühe, negative Gedanken zusammenzuklauben, aber seine Geschmacksknospen signalisierten ihm die totale Kapitulation.
Dieser Espresso war der beste, den er jemals getrunken hatte. Und das sollte für den Spross einer alten Wiener Kaffeehausdynastie etwas heißen.
»Also – am Wasser kann es nicht liegen, wir hängen wohl am gleichen Wassernetz. Der Kaffee ist auch der gleiche. Wie, bitte schön, geht das? Ich hab’ den gleichen Wasserfilter wie du, und sogar die gleiche Mahlstufe. Andreas, verrate mir, wie das geht?«
»Glaubst du an Ferndiagnose, Thomas?«
»Bei einer 45 Jahre alten Faema? Eher weniger.«
»Dann werd ich mir die Signora mal anschauen. Passt übermorgen?«
»Passt. Aber eine Frage hab’ ich noch. Du heißt nicht zufällig Hofer?«
»Doch, Hofer. Andreas Hofer, warum?«
»Ach – nur so.«
15. Jahrestag
Als Timo den Hörer auflegte, fühlte er sich wie erschlagen. Er wusste, dass sich Selana seit Wochen auf diesen Abend gefreut hatte. Sie wollten feiern, dass sie sich vor genau zwei Jahren zum ersten Mal geliebt hatten. Es war damals etwas ganz Besonderes gewesen. Und so sollte es auch heute sein. Timo wusste, dass Selena eine Überraschung für ihn vorbereitet hatte. Nicht nur ein dreigängiges Liebesmahl mit einer Rotweinsuppe, die Timo so liebte. Irgendetwas hatte sie noch vorbereitet, Timo spürte, wie sie sich freute, ihn damit zu überraschen. Und sicherlich hatte Oma auch eine kleine Maraschino-Torte gebacken, die am Ende eines Liebesmenüs, wenn eigentlich nichts mehr im Magen Platz hatte, auf den Tisch kam. Diese Torte hatte eine magische Wirkung. An ihrem ersten Abend hatte Timo sie noch dankend abgelehnt, doch Selena bestand darauf. »Probier’ sie. Nur ein kleines Stückchen!«, hatte sie ihm mit einem vielsagenden Lächeln zugezwinkert.
Timo traute seinem Magen kaum. Obwohl er bereits vollkommen satt war und die Torte unendlich üppig schien, wollte er mehr davon. Der in Kirschwasser getränkte Boden, die süße Buttercreme, diese altmodische Köstlichkeit aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit wirkte wie ein Verdauungsbeschleuniger. Und wie ein Aphrodisiakum. Mit jeder Gabel wurde er hungriger, Selena sah es an seinen Augen, und als er das Tortenstück verputzt hatte, fiel er über sie her. Es war kein Vögeln, wie Timo es bisher kennengelernt hatte. Als ein mechanisches, sportliches aneinander Abarbeiten mit kürzeren oder längeren Glücksmomenten. Das hier war etwas vollkommen anderes. Die Begrenzungen der beiden Körper lösten sich auf und bildeten ein rhythmisches, energiegeladenes Ganzes. Es war ein gemeinsames Abtauchen in einem Element, das etwas anderes war als Wasser oder Luft. Man konnte darin atmen, und doch schwebte man schwerelos darin wie in einem riesigen körperwarmen Meer. Zwischendurch legten sie sich ans Ufer, um auszuruhen, dann schoben sie sich Maraschinotorte in den Mund, verschmierten die Creme über ihre Lippen und tauchten wieder ein in den Pool.
Als Timo am nächsten Morgen aufwachte, war er ein wenig gekränkt gewesen, weil Selena am
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