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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ono Mothwurf
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Parkettboden.
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    »Scheiß.«
    Zehn Pappen lagen mit gebrochenen Kanten am Boden.
    Ohne einen Ton zu sagen, ging Timo aus dem Raum. Er ließ die Pappen auf dem Boden einfach hinter sich.
    An seinem Arbeitsplatz zog er seine Jacke an, hängte sich seine Tasche um und hob den Telefonhörer ab.
    Ich komm jetzt nach Hause, wollte er sagen. Er ließ es klingeln. Lange klingeln. Doch Selena hob nicht ab.
    Erst jetzt brach die ganze Enttäuschung aus Timo heraus.
    Mit voller Wucht knallte er seine Faust auf den Tisch. Da ging etwas kaputt: Die Uhr an seinem Handgelenk blieb stehen.
    Oft würde er später daran denken, wie wohl alles gelaufen wäre, hätte die Uhr keine Zeiger gehabt. Wenn eine Digitaluhr kaputt geht, erlöschen die Zahlen und ihr genauer Todeszeitpunkt bleibt ein Geheimnis. So aber wurde er durch seine Armbanduhr ein ganzes Leben lang an diese Stunde erinnert.
    Die Stunde, in der Selena starb.

16. Mord in Abwesenheit
    »Kommissar Nokia, da ist ein junger Mann, der behauptet, seine Freundin wäre ermordet worden.« Egon Schneiderweiß, der Büroleiter der Mordkommission, war dran. Thomas Wondrak hatte sich längst abgewöhnt, ihn darauf hinzuweisen, dass er – wenn er ihn als Telefon bezeichnete – wenigstens mit seinem vollen norwegisch-österreichischen Doppelnamen Ericsson-Wondrak angesprochen werden wollte. Diese kleinen verbalen Scharmützel machten ihm keinen Spaß mehr. Aber es hätte ja auch noch schlimmer kommen können. Wondrak war froh, dass er von Schneiderweiß nicht Kommissar iPhone oder Leutnant Blackberry genannt wurde. Der Einzug der modernen Bürokommunikation war nicht aufzuhalten, das war Wondrak klar, er würde ihn aber mit der ihm eigenen Behäbigkeit so geschickt wie möglich ausbremsen. Also telefonierte er immer noch mit seinem zehn Jahre alten Nokia-Knochen.
    »Ein Mord? Wie schön. Aber wie ich unsere langweilige Abteilung kenne, ist der Mörder bereits geständig, die Mordwaffe gesichert und das Tatmotiv in einer beglaubigten Erklärung bei einem Notar hinterlegt.«
    »Nicht ganz«, erwiderte Schneiderweiß. »Die Tatwaffe ist eine Grafiker-Zeichenpappe, der Tatort ist die größte Werbeagentur Starnbergs, die Todesursache ist Herzversagen und die Beweismittel sind zwei Armbanduhren, die zur selben Zeit stehengeblieben sind.«
    Wondrak dachte nach. Dann fragte er, und an der Tatsache, dass seine Aussprache ins Österreichische kippte, merkte man, dass er intensiv nachgedacht hatte: »Jetzt mach’ ich des G’schäft ja schon a Zeitlang, aber so was hatt’ ma no ned, Schneiderweiß, oder?«
    »Na, sowas hob ma no ned g’hobt.«
    Wondraks Neigung, seltsame Mordgeschichten anzuziehen, hatte in der letzten Woche einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Eventualmord oder ein Vielleichtschonbaldmord und nun auch noch ein Phantommord? Na danke, das war einer zu viel.
    »I muaß ned ollas wissen. Hör du dir die G’schicht an, Schneiderweiß, aber für Voodoo samma eigentlich ned zuaständig. Noch ned.«

17. Die erste Nacht
    Die monatlichen Sunrise-Partys bei SCP waren nur elf Generalproben für das große Sommerfest. Hier wurde das ganze Jahr über die Glut gesammelt, um einmal jährlich ein Großfeuer zu entfachen.
    Und am letzten Freitag im Mai war es dann immer so weit. Das Wetter über Oberbayern bestand in dieser Jahreszeit zumeist aus einem Sonne-Wolken-Mix, was garantierte, dass es nachts nicht zu kalt wurde. Und so war es auch an diesem Abend. An Timos letztem Abend als Praktikant bei SCP. Es begann wie immer um sechs Uhr abends, gerade als die Sonnenstrahlen sich anschickten, das Westufer zu verlassen. In diesen letzten Strahlen, das erste Händeschütteln war vorbei, jeder hatte etwas zu trinken in der Hand, ergriff der alte Schneidervater das Mikrofon und richtete das Wort an die Menschenmenge im Park der Agenturvilla. 250 Namen standen auf der Gästeliste, aber Schneidervater kalkulierte immer mit 350 bis 400 Gästen, und so viele standen nun auch im Park.
    »Meine lieben Gäste, liebe Kunden, liebe Nichtmehrkunden und liebe Nochnichtkunden, ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid! Besonders die Nichtmehrkunden!« Er machte eine kleine Pause, sodass das Gelächter zu hören war.
    Timo starrte in sein Glas. Seit zwei Tagen war Selena tot. Er wusste, er würde ohne sie untergehen. Bis dahin klammerte er sich an seiner Arbeit fest wie an einem Stück Treibholz.

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