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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ono Mothwurf
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Die Routine gab ihm wenigstens ein bisschen Auftrieb. Aber irgendwann würde er loslassen und aufgeben. Heute noch nicht.
    Morgen würden sie Selena begraben. Er konnte heute Abend unmöglich allein sein. Und deshalb war er hierhergekommen. Eine bessere Zerstreuung als das Sommerfest von SCP war ihm nicht eingefallen.
    »Ich meine das ganz ernst«, fuhr Schneidervater fort. »Dass uns immer noch so viele Nichtmehrkunden verbunden sind – ich habe heute mehr als ein Dutzend begrüßt –, macht mich stolz und froh. Denn es zeigt einerseits die Verbundenheit zu unserem Team, und andererseits das wache Interesse, zu verfolgen, was sich immer wieder bei uns Neues tut.«
    Während Schneidervater sprach, hatte eine kleine, rhythmische Melodie eingesetzt und dazu lief ein Film auf einer Leinwand, der in hübschen, schnellen Schnitten einen knappen Jahresrückblick gab.
    »Für viele von Ihnen ist es das fünfte, oder sogar zehnte SCP-Sommerfest. Für einige ist es das erste Mal. Für manche meiner Kollegen, zum Beispiel. Einen möchte ich Ihnen heute Abend kurz vorstellen. Es ist der Erfinder der neuen Résistance-Kampagne, Timo Stifter! Timo, komm doch kurz zu mir!«
    Chantal rempelte ihn an: »Dein Auftritt, Spatzl! Schaut so aus, als würdest du doch vor mir in New York landen!«
    Verwirrt stapfte Timo durch die Menge. Welche Résistance-Kampagne? Ein großes, ruhiges Rauschen in seinen Ohren dämpfte seine Wahrnehmung. Es waren Meereswellen. Er lag mit Selena am Strand und ab und zu leckten die Wellen an ihren Zehen. Von Weitem hörte er Schneidervater etwas erzählen. Er spürte Wärme und wurde ganz ruhig. Selena war bei ihm.
    »Gott, ist der süß!«, tuschelten zwei Frauen, als Timo an ihnen vorbeilief. Für sie sah Timo vollkommen entspannt und cool aus, so als wäre er nichts anderes gewohnt, als sich täglich seine Lorbeeren abzuholen.
    Er hatte den dicken Merino-Schal, den ihm Selena gestrickt hatte, um den Hals gewickelt, das verlieh ihm eine besondere Wirkung – modisch, exzentrisch und von jedem normalen Temperaturempfinden abgekoppelt.
    Timo hob den Kopf, und was er nun auf der Leinwand sah, ließ ihn um seinen Verstand fürchten. Er sah eines der Motive, die noch vor zwei Tagen mit geknickter Ecke auf dem Boden des Konferenzzimmers lagen.
    »Timo ist einer unserer jüngsten Mitarbeiter und einer unserer vielversprechendsten. Ich bin mir sicher, liebe Nichtmehrkunden und liebe Nochnichtkunden, wenn Sie uns nächstes Jahr wieder besuchen, hat Timos Handschrift SCP ein paar große Schritte weiter entwickelt. Timo Stifter ist unser Rookie des Jahres!«
    Obwohl Schneidervater gar nicht vorhatte, das Mikro zu übergeben, hatte Timo es plötzlich in der Hand.
    »Danke, lieber Herr Schneidervater. Und danke an die Dr. G. Cosmetics, dass sie ein Parfum herausgebracht haben, mit so einer berauschenden Wirkung … dass mir so abgedrehte Bilder darauf einfallen!«
    Schneidervater lachte, klopfte ihm auf die Schulter und überreichte ihm eine kleine Rookie-Statue.
    Chantal strahlte ihn an: »I bin immer neidisch, Timo, des muasst du wissen. Nur heut ned. Einen besseren Rookie wia dich gibt’s ned!«
    »Danke, Chantal!« Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange, und Chantal wurde ein wenig rot.

     
    Timo fühlte sich wie ein Geist. War er wirklich da oder träumte er alles? Lag er im Delirium auf einer Wiese in der Nähe seiner Münchener Wohnung am Glockenbach? Wie sollte man so etwas überprüfen?
    »Ich bin Uschka«, stellte sich eine junge, dunkelhaarige Frau vor und reichte ihm die Hand. »Uschka Taras. Die Vertriebsleiterin von Résistance für Mittel- und Zentraleuropa.«
    Der alte Timo hätte wohl steif und sehr erfreut ›Frau Taras‹ gesagt, doch dieser Timo hier schaute die Frau neugierig an, bemerkte, dass sie schön war und schnupperte. »Uschka!«, tadelte er sie. Nun führte er seine Nase ganz nah an ihren Nacken heran, sodass sein Atem ihre Haut berührte. Er sah, wie sie auf den warmen Atem reagierte. Ein leises Zucken, ein Beben der Härchen. Dann sagte er: »Uschka, Uschka! Gut, dass du kein Résistance trägst, sonst könnte dir kein Mann widerstehen!« War das Timo? Die Frau seines Lebens war zwei Tage tot, und er flirtete auf Teufel komm raus?
    »Du bist der Erste, der merkt, dass ich kein Résistance trage«, sagte sie fast schuldbewusst.
    »Ich werde dich auch nicht an Doktor Gnadenhain verpfeifen«, grinste Timo. »Jetzt habe ich dich wohl in der Hand!«
    Uschka lenkte ab und richtete ihre

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