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Werden sie denn nie erwachsen?

Werden sie denn nie erwachsen?

Titel: Werden sie denn nie erwachsen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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hatten zum Teil kilometerlang den Asphalt aufgerissen – irgendein Unternehmer mußte wohl gute Beziehungen zum Rathaus haben –, und mehrmals waren in beinahe sadistischer Willkür Umleitungsschilder aufgestellt. Wenigstens bekamen wir auf diese Weise etwas von der englischen Landschaft zu sehen. Sie bestand überwiegend aus hübschen kleinen Häuschen, die alle mindestens ein Erkerfenster hatten, dahinter Wiesen mit allem Getier drauf, das Gras frißt, und zwischendurch immer wieder Golfplätze, auf denen Männer in karierten Hosen ihre Keulen schwangen.
    »Bei uns hat jedes Kaff seinen Fußballplatz, hier spielt man statt dessen Golf«, wunderte sich Nicole. »Und ich dachte immer, das ist ein ganz elitärer Sport.«
    »Jeder Engländer fühlt sich als etwas Besonderes«, sagte Katja überzeugt, »sonst würde er nicht als einziger in Europa immer noch auf der linken Straßenseite fahren.«
    Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, jemals unser Ziel zu erreichen, als ein Schild am Straßenrand das Gegenteil versprach. »Portsmouth 7 km« las ich erleichtert. Wir bogen aber schon vorher ab, schlängelten uns zum Ichweißnichtwievieltenmal durch einen Roundabout (in England herrscht an jeder Kreuzung, auf die mehr als zwei Straßen münden, Kreisverkehr, und da haben – vermutlich auch wieder aus elitären Gründen – die einfahrenden Autos Priorität) und kamen vor einem mehrstöckigen weißen Haus zum Stehen. Vor seiner Berufung zu gastronomischen Zwecken schien das Gebäude eine Art Zweitwohnsitz irgendeines betuchten Lords oder Earls gewesen zu sein, dessen Nachkommen im Zeitalter moderner Verkehrsmittel kein Sommerhaus mehr brauchten, weil sie ihre Ferien weit weg von ihrer Insel verbrachten. Da war es sicher auch wärmer.
    Der Taxifahrer lud unsere Regenschirme aus dem Kofferraum, dann verlangte er fünfzig Pfund. Genau diesen Betrag hatte ich noch schnell im Frankfurter Flughafen eingewechselt, obwohl Sascha mir empfohlen hatte, das lieber in England zu tun, da sei der Kurs günstiger. »Am ersten Tag brauchst du sowieso kein Geld, und die Banken haben auch samstags auf.«
    Die Mädchen waren schon die breite Treppe hinaufgestiegen und suchten nach einem Klingelknopf. Ich fand auch keinen. Statt dessen gab es einen blankpolierten Messingknüppel, mit dem ich mehrmals gegen die Tür hämmerte. »Hoffentlich haben sie drinnen wenigstens Strom!«
    Eine zierliche schwarzhaarige Frau öffnete. Sie habe uns bereits vor drei Stunden erwartet, Miss Rashburn habe schon ein paarmal angerufen, aber jetzt sollten wir doch erst einmal hereinkommen, wo denn unsere Koffer seien, ob wir einen guten Rüg gehabt hätten, da hinten den Gang entlang gehe es zum Frühstückszimmer, links daneben sei der Fernsehraum, und übrigens heiße sie Mrs. Hamilton.
    Die berühmte Lady sei eine direkte Vorfahrin ihres Mannes, eine Behauptung, deren Wahrheitsgehalt ich stark anzweifelte. Doch ich kam sowieso nicht zu Wort, denn Mrs. Hamilton redete ohne Punkt und Komma, während sie uns eine schmale Treppe in den zweiten Stock hinaufführte, auf halbem Weg eine Tür öffnete, weil sich dort das Bad befand, und schließlich vor einer geschwungenen Flügeltür haltmachte. Sie zog einen goldenen (jawohl!) Schlüssel mit kunstvoll verziertem Oberteil hervor und schloß auf.
    »Uuiiihh!« rief Nicki. »Das ist ja der totale Wahnsinn!«
    Das Zimmer war ungefähr fünfzig Quadratmeter groß.
    Es enthielt ein Doppelbett und drei einzeln stehende Betten, Tisch, Stühle, einen voluminösen Kleiderschrank, ein Waschbecken und neben dem unerläßlichen Erkerfenster ein antikes Möbel mit einem Spiegel in der Mitte sowie unzähligen kleinen Schubfächern. Vielleicht hatte Lady Hamilton selig in einem davon ihre Schönheitspflästerchen aufbewahrt. In einer Ecke stand ein Fernsehapparat, und direkt neben der Tür waren auf einem Tischchen die Utensilien für den Morgentee aufgebaut. In Ermangelung eines Kammerdieners, ohne den Lords und Earls ja nie zu reisen pflegten, würden wir den Tee allerdings selber zubereiten müssen. Zu diesem Zweck gab es einen »Kettle« genannten elektrischen Heißwasserkocher, Teebeutel der verschiedensten Geschmacksrichtungen, Würfelzucker und Büchsenmilch.
    Da es manche Gäste unbegreiflicherweise vorzogen, morgens lieber Kaffee statt Tee zu trinken, wurde das Stilleben durch ein Glas Pulverkaffee vervollständigt. Statt der stilgerechten Wedgewood-Tassen (das kann man in jedem klassischen englischen Roman nachlesen!)

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