Werden sie denn nie erwachsen?
mußten wir jedoch simple Keramikbecher benutzen, und die Silberlöffel waren aus zeitgemäßem Plastik. Trotzdem fand ich diese Miniküche großartig.
»Mach mal Tee!« sagte ich zu Nicole, nachdem Mrs. Hamilton endlich gegangen war, um Vicky von unserer Ankunft zu verständigen.
Schon nach zwei Minuten brodelte das Wasser. »So lange braucht ja unser Herd, bis erst mal die Schnellkochplatte heiß wird«, wunderte sich Katja. »Du, Määrn, so ’n Teil nehmen wir mit nach Hause.«
Inzwischen gibt es diese Elektrotöpfe mit der dicken Heizspirale am Boden auch bei uns zu kaufen, aber seinerzeit waren sie hier noch völlig unbekannt.
»Willst du Earl Grey, Darjeeling oder …«
»Mir egal, Hauptsache heiß.« Ich fror nämlich. Wir waren alle ziemlich luftig gekleidet, doch die sommerlichen Temperaturen hatten England entweder noch nicht erreicht oder waren schon wieder verschwunden. Der Himmel sah auch gar nicht nach Sommer aus. Die Straßen waren zwar trocken, doch einen vertrauenerweckenden Eindruck machten die dicken Wolkenberge nicht gerade.
Katja spielte am Fernseher herum. »Mach das Ding aus, du verstehst ja doch nichts!«
»Ich will mich auch nur an den Tonfall gewöhnen.« Sie drückte ein Knöpfchen nach dem anderen und hatte endlich das ihr genehme Programm gefunden: Ein klampfender Jüngling mit Gleichgewichtsstörungen hüpfte auf einer Bühne herum und schrie. Ich schrie so lange mit, bis sie den Kasten wieder ausschaltete. Diese Methode hatte ich schon früher – und immer mit Erfolg! – angewandt.
Vor der Konfrontation mit der neuen Verwandtschaft hätten wir uns ganz gern umgezogen, aber das war nicht möglich. Bisher hatte es noch niemand für nötig befunden, unser Gepäck herüberzubringen, und als Vicky eine Viertelstunde später an die Tür klopfte, stand sie auch mit leeren Händen da. Nicht mal Seife zum Händewaschen hatten wir.
Wahrscheinlich hätte ich meine ab morgen amtlich sanktionierte Schwiegertochter jetzt in den Arm nehmen und viele nette Worte sagen müssen, doch ich brachte es einfach nicht fertig. Sie war mir zu fremd, die Sprachbarriere schuf ein zusätzliches Hindernis, und so war ich froh, daß die Zwillinge mit der zwischen jungen Leuten üblichen Formlosigkeit die etwas ungemütliche Situation entschärften.
»Hi«, sagte Katja und musterte ihre künftige Schwägerin kritisch, um dann festzustellen, daß sie ohne dicke Backe erheblich besser aussähe. Ich fand das stark untertrieben.
Vicky war ein bildhübsches Mädchen, und allmählich konnte ich Sascha verstehen. Sein Gesichtssinn ist schon immer ausgeprägter gewesen als sein Verstand.
Am besten kämen wir jetzt erst einmal mit, sagte Vicky, die anderen seien schon alle da, Thomas und Jill müßten ebenfalls bald kommen, Mel sei bereits heute früh eingetroffen …
»Ob die auch noch alle zum Clan gehören?« wisperte Nicole, als wir hinter Vicky die Treppe hinabstiegen.
»Wer soll sich denn die ganzen Namen merken?«
»Wer Thomas ist, weiß ich, den hat sich doch Sascha als
best man
ausgesucht.« Im Gegensatz zu dem bei uns üblichen Hochzeitszeremoniell schreitet das Brautpaar in England nicht Arm in Arm zum Altar, sondern der Bräutigam hat bereits vorher dort zu sein und darauf zu warten, bis seine Zukünftige in Begleitung ihres Vaters als letzte die Kirche betritt. Diese Minuten können sich endlos in die Länge ziehen, und deshalb bekommt der ohnehin schon nervöse Bräutigam als moralische Unterstützung einen nicht weniger nervösen Freund zur Seite gestellt.
Sascha hatte Thomas um diesen Dienst gebeten, einen Österreicher, mit dem er lange auf dem Schiff zusammengearbeitet hatte. Genau wie Sascha hatte er nach der letzten Weltreise der christlichen Seefahrt Servus gesagt und – vielleicht war so was ja ansteckend – Vickys Kollegin Jill gleich mitgenommen. Die nächste Hochzeit war also schon vorprogrammiert.
Vickys Elternhaus lag in einer ruhigen Sackgasse. Ein frischgestrichener Holzzaun grenzte den in voller Rosenblüte stehenden Vorgarten zur Straße hin ab.
Dahinter erhob sich ein wunderhübsches weißes Häuschen mit einem verschnörkelten Giebel und vielen in Vierecke unterteilten Fenstern. Der Erker fehlte natürlich auch nicht. Hinter der Scheibe, die Gardine wie einen Brautschleier über seinen Wuschelkopf gehängt, saß ein Rauhhaardackel. Kaum hatte er uns gesehen, räumte er laut kläffend seinen Platz und hing Sekunden später an meinem Bein. Es war eine sehr stürmische
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