Werden sie denn nie erwachsen?
Schleifchen geschmückte Gummibaum herausragte, wurde mir erst richtig klar, daß wir bald wieder ein normales Leben führen würden. Wir könnten uns wieder auf deutsch unterhalten, brauchten nicht mehr ständig an Zimmertüren zu klopfen und würden uns wieder normal ernähren. Katja hatte schon überlegt, ob sie als demnächst milchproduzierendes Rindvieh nicht sogar subventionsberechtigt sei.
Daß Vicky Vegetarierin war, hatten wir in England gar nicht mitbekommen. Aufgefallen war es mir zum erstenmal während der Abiturfeier, als sie sich bei der anschließenden Freßorgie nur einige Salatblättchen vom reichbestückten kalten Büfett nahm und behauptete, keinen Hunger zu haben.
»Dabei gehört das Grünzeug doch bloß zur Dekoration«, flüsterte mir Nicole zu. »Warum ißt sie nichts Vernünftiges? Hast du übrigens mal den mexikanischen Salat von Frau Bettin probiert? Einsame Spitze, sag ich dir.«
Ein letztes Mal waren wir Eltern aufgefordert worden, zum Gelingen des Festes beizutragen. Hinlänglich trainiert, hatten wir wieder Salate zusammengerührt, Aufschnittplatten komponiert, dutzendweise Isolierkannen mit Kaffee und Tee angeschleppt, während die Väter angehalten worden waren, für das geistige Wohl der Festgäste zu sorgen. Ganz Spendable hatten sogar Champagner herausgerückt. Vielleicht waren es auch nur die besonders Dankbaren gewesen, deren Sprößlinge trotz gegenteiliger Befürchtungen das Abitur doch noch geschafft hatten.
Diese Abschlußfeier war Vickys erstes öffentliches Auftreten im Familienverband. Nachdem Rolf sich geweigert hatte, im Jogginganzug zu erscheinen – das Gipsbein hinderte ihn noch immer an einer standesgemäßeren Bekleidung – und Sven sich unter dem Vorwand, seinem Vater Gesellschaft leisten zu müssen, gedrückt hatte, blieb es an Sascha hängen, die männliche Komponente des Clans zu vertreten, wozu er sich nur widerwillig bereitfand. Nicht mal die Aussicht, mit einer nunmehr amtlich sanktionierten und darüber hinaus sehr dekorativen weiblichen Seitendeckung erscheinen zu können, stimmte ihn milder.
»Was soll ich denn da? Mich mit irgendwelchen Müttern, die ich nicht kenne, über ihre Blagen, die ich auch nicht kenne, unterhalten? Und ob es nicht ungerecht ist, daß der Paul oder Emil eine Vier in Latein gekriegt hat, obwohl doch Opa immer regelmäßig die Vokabeln abgehört hat?«
»Du bist ein Idiot!« fertigte ihn Katja ab. »Was glaubst du denn, wo du hingehst? In die Grundschule?«
Daran erinnerte die festlich geschmückte Aula nun wirklich nicht, schon eher an Kirche, was vor allem der weihevollen Stille zuzuschreiben war. Auch die von Lorbeerbaumtöpfen umrahmte Bühne mit dem Rednerpult in der Mitte wirkte ein bißchen sakral. Nur die dahinter aufgereihte Big Band der Schule paßte nicht so ganz ins Bild, obwohl Schlagzeuger und Blechbläser ihre Instrumente noch zugedeckt hatten und nur die Streicher das gedämpfte Stimmengemurmel mit Klassischem untermalten.
Wir waren ziemlich spät dran, denn Vicky hatte sich nicht entscheiden können, welches Teil ihrer Garderobe dem feierlichen Anlaß entsprechen würde, und als sie endlich ihre Wahl getroffen hatte, mußten wir erst den richtigen Kleidersack finden. Jedenfalls sah sie in dem weinroten Kostüm richtig brav aus, also genau so, wie nach ihrer Vorstellung eine Ehefrau in einer deutschen Kleinstadt auszusehen hat. Ich hatte noch einmal mein Schwiegermutterkleid hervorgeholt, bevor es endgültig in der hintersten Ecke des Schrankes verschwinden würde.
Was es auch tat, bis ich es drei Jahre später der Rotkreuz-Kleiderstube vermachte.
Als wir die Aula betraten, kam uns Katja schon ungeduldig entgegen. »Wo bleibt ihr denn? Nicki sitzt da drüben in der dritten Reihe und verteidigt mit Zähnen und Klauen eure Plätze.«
»Ich denke, die sind reserviert?«
»Doch nur für die Eltern und nicht für die ganze Sippe.
Steffi ist nämlich auch noch nicht da.«
Wenig später kam sie. »Tschuldigung, aber erst habe ich dieses blöde Kaff nicht gefunden, dann habe ich zehn Minuten lang die Schule gesucht, und als ich die endlich hatte, gabs nirgendwo mehr einen Parkplatz. Jetzt stehe ich irgendwo neben einem Rübenfeld. Keine Ahnung, ob ich den jemals wiederfinde, hier gibt es ja nur Rübenfelder.«
In kluger Voraussicht hatte Katja ihre Schwägerin neben Dr. Greininger geparkt, seines Zeichens Englischlehrer und als solcher befähigt, seiner Nachbarin die wesentlichen Aussagen der nun folgenden
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