Werke
unveränderliche Denkmale, wie etwa die Kirche von Sanct Stephan, gibt es zu wenige, als daß sie der Stadt ein allgemeines Aussehen aufdrücken könnten, und so sieht sie immer wie eine von gestern aus. Das alte Perronsche Haus stand an der Hauptstraße der Vorstadt, in welcher wir wohnten, und war nicht gar weit von unserer Wohnung entfernt. Es hatte noch die Eigentümlichkeit, welche die jetzigen jungen Bewohner der Hauptstadt nicht mehr kennen, daß es unterirdische Wohnungen hatte. Die Fenster solcher Wohnungen gingen gewöhnlich dicht an dem Pflaster der Straßen heraus. Sie waren nicht sehr groß, hatten starke eiserne Stäbe, hinter denen sich gewöhnlich noch ein dichtes eisernes Drahtgitter befand, das, wenn der Bewohner nicht besonders reinlichkeitliebend war, mit dem hingeschleuderten und getrockneten Kote der Straße bedeckt war und einen traurigen Anblick gewährte. Das Perronsche Haus war auch ohnedem schon ein sehr altes Haus, es sah schwarz aus, und hatte Verzierungen aus sehr alten Zeiten Es ging nur mit seiner schmäleren Seite auf die Straße, mit den größeren Räumen ging es gegen einen Garten zurück. Es hatte ein kleines Pförtlein, das mit dunkelroter, fastschwarz gewordener Farbe angestrichen und mit vielen metallenen Nägeln beschlagen war, deren Stoff man nicht mehr erkennen konnte, weil sich die breiten Köpfe mit Schwärze überzogen hatten. Es war wohl neben dem Pförtchen ein größeres Haustor, aber dasselbe war seit undenklichen Zeiten nicht mehr benützt worden, es war geschlossen, es war voll Straßenkot und Staub, und hatte zwei Querbalken, die mit eisernen Klammern an der Mauer befestigt waren.
Wir hatten damals einen Freund, der es auch in allen folgenden Zeiten geblieben ist. Es war der Professor Andorf. Er war unvermählt, aber ein heiterer, freundlicher Mann voll geistiger Anlagen, er hatte ein warmes, empfindendes Herz, und war für alles Gute und Schöne empfänglich. Er kam sehr oft zu uns, war mit meinem Manne in gelehrten Verbindungen, und es wurde öfter etwas Schönes vorgelesen oder Musik gemacht, oder traulich von verschiedenen Dingen gesprochen. Dieser Professor Andorf wohnte in dem Perronschen Hause, er wohnte nicht einmal auf die Gasse heraus, sondern in dem Hofe. Er hatte freiwillig diese Wohnung gewählt, weil sie für seine Beschäftigungen, die in Lesen, Schreiben oder etwas Klavierspielen bestanden, sehr ruhig war; und obwohl er ein heiterer, geselliger Mann war, hatte er doch gerade diese Wohnung gewählt, weil es seinen dichtenden Kräften, die sich nicht sowohl im Hervorbringen, als vielmehr im Empfangen äußerten, zusagte, das allmähliche Versinken, Vergehen, Verkommen zu beobachten, und zu betrachten, wie die Vögel und andere Tiere nach und nach von dem Mauerwerke Besitz nahmen, aus dem sich die Menschen zurück gezogen hatten; es gehe ihm in der Welt nichts darüber, pflegte er zu sagen, an einem Regentage an seinem Fenster zu stehen und das Wasser von den Disteln, dem Huflattig und den andern Pflanzen, die in dem Hofe stehen, niederträufeln und die Nässe sich in den alten Mauern herabziehen zu sehen.
Einmal sagte mein Gatte, da er schon angezogen war und eben in sein Amt gehen wollte: »Da ist ein Buch, es gehört dem Professor Andorf, es ist sehr wichtig, mir ist daran gelegen, daß es nicht in fremde Hände komme, sei so gut, schlage es in ein Papier ein, siegle das Papier zu, und schicke das Buch durch jemand Zuverlässigen an den Professor. Ich hatte nicht mehr Zeit, das Geschäft selber zu besorgen, und wende mich daher an dich.«
Er legte das Buch auf mein Nähtischchen, ich sagte ihm zu, daß ich seinen Auftrag vollziehen würde, und er ging fort, um sich an seine Dienstgeschäfte zu begeben.
Da mir aber im Laufe des Vormittages einfiel, daß ich ohnedem in die Stadt gehen müsse, und daß ich da an dem Perronschen Hause vorübergehe, so dachte ich, daß ich ja bei dieser Gelegenheit das Buch selber abgeben könnte, so könne es ganz gewiß in keine unrechten Hände kommen. Ich beschloß also, so zu tun. Da die Zeit gekommen war, kleidete ich mich an, tat das Buch in meine Arbeitstasche, die ich gerne am Arme mitzutragen pflege, und machte mich auf den Weg. Als ich zu dem Perronschen Hause gekommen war, drückte ich auf die Klinke des kleinen roten Pförtchens. Ich war nie in dem Hause gewesen. Die Klinke gab leicht nach, und das Pförtchen öffnete sich. Als ich aber in dem Gange stand, der sich hinter dem Pförtchen öffnete, sah ich
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