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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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es die Buchstaben recht macht und die Rechnungen aufschreibt. Sonst geht es aus Bosheit in die Schule, um da wild zu sein und zu trotzen. Selbst zu dem hochwürdigen geistlichen Herrn hat es noch kein Wort gesprochen.«
    »Wer sind denn seine Angehörigen?« fragte Stephan.

    »Hergelaufene Menschen«, antwortete der Lehrer. »Es sind die früheren Besitzer der Hütte ausgestorben, und da kamen weitläufige Anverwandte, zwei Schwestern, davon eine die Mutter des Mädchens, die andere aber eine unverheiratete Person ist. Diese besorgen die Hütte, die zwei Kühe, die Ziegen und die kleinen Flecke Grundes und gehen in Arbeit. Dann ist noch die Großmutter, welche die Mutter der zwei Weibspersonen ist, und das wilde Kind. Von einem Vater dieses Kindes habe ich nie etwas gehört.«
    »Ihr werdet mir doch erlauben, daß ich Eure Schule einmal besuche«, sagte Stephan.
    »Ich werde eine Freude und Ehre daran haben«, antwortete der Lehrer.
    Darauf beurlaubte sich der alte Mann, Franz verbeugte sich, wie er es gelernt hatte, Katharina knickste, und sie verließen die Stube.
    Dann ging der alte Mann noch mit den Kindern, ehe die Mittagszeit kam, von dem Schulhause über grünen Rasen empor, dann zwischen kleinen Feldern, dann durch einen Laubgraben, in welchem Wasser rauschte, dann durch Wiesen, auf denen ungeheure Steine lagen, in den großen Wald hinauf, den sie bei ihrer Ankunft wie ein dunkles Band vor sich gehabt hatten. Er führte sie im Walde herum, so weit er gangbar war, oder der eine oder der andere Pfad hierhin und dorthin lenkte. Er zeigte ihnen die großen Buchen und Tannen und Ahorne, die da wuchsen, die bemoosten Steine, die in Mengen und in Verwirrungen umherlagen und oft wie grünes Gold funkelten, er zeigte ihnen die dunkeln und lichten Waldblumen, die im Schatten standen, und die anderen Kräuter und Blätter, die da waren, insonderheit, daran die Beeren wachsen würden, die sie in späterer Zeit des Sommers ergötzen sollten, er zeigte ihnen die vielen Wässerlein, die da rannen, und führte sie zu einem Waldbrunnen, den er wußte. Zu dem Brunnen ging ein guter Pfad, weil die Hirten, die Holzarbeiter und andere Leute ihren Trunk da holten, und glaubten, daß das Wasser heilig sei und besondere Gesundheitskräfte besitze. Es lag ein Stein wie ein Haus über dem Brunnen, und von ihm rann ein Quellchen weiter. Es war so, wie der Großvater gesagt hatte, wenn sich das Wasser unter seinem Steine nicht gerührt hätte, wäre es von Luft nicht zu unterscheiden gewesen. Hohe Bäume und Brombeersträuche und andere Dinge waren umher. Der Großvater setzte sich mit den Kindern nieder, und da sie sich genugsam abgekühlt hatten, zog er einen schönen Glasbecher aus einem Fache, das er in seiner Tasche trug, hervor, füllte ihn mit Wasser und gab den Kindern zu trinken, und trank selber. Dann, als der Durst gestillt war, gingen sie unter dem Gesange von allerlei Vögeln, unter demGeflatter von manchen schönen Faltern und im Anschauen manches bunten Käfers oder eines andern Tierchens oder gar eines über den Weg huschenden Eichhörnchens an Stamm nach Stamm dahin, immer abwärts, bis sie ins Freie gelangten und bald ihr Schreinerhäuschen sahen, dem sie zuwandelten.
    Nach einigen Tagen ging der alte Stephan allein in das Schulhaus und in das Unterrichtszimmer. Der Lehrer zeigte ihm das wilde Mädchen. Es saß auf dem zweiten Platze der zweiten Bank und sah den alten Mann mit schreckhaft großen pechschwarzen Augen an. Sonst saß es ruhig und still da. Der alte Mann ging in dem Zimmer herum, betrachtete allerlei, sprach zu den Kindern insgesamt einige Worte und ging wieder fort. So kam er nun öfter, die Kinder gewöhnten sich an ihn, er hörte zu, wenn sie lasen, er forderte sie auf, ihm ihre Schreibbücher und Rechnungstafeln zu zeigen, und beschenkte sie darnach zuweilen mit kleinen Bildchen. Das wilde Mädchen las nie, es zeigte ihm nie ein Schreibbuch oder eine Rechnungstafel. Wenn er manchesmal bis zum Ende der Schulzeit blieb und mit den Kindern fortging, umringten sie ihn und drängten sich an ihn, jedes wollte das nächste an ihm gehen, und manche gingen länger auf dem Pfade, den er wandelte, mit fort, als ihr Nachhauseweg erfordert hätte, um bei ihm bleiben zu können. Er sah nie, daß das wilde Mädchen andere Kinder stieß oder schlug, sondern es ging seines Weges fort.
    Einmal, als er nach langer Zeit wieder in die Schule kam brachte er allerlei Dinge mit: Glaskorallen, kleine Marmorkugeln, rosenrote

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