Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Seltsamkeiten. Einmal nahm ich ihr heimlich ein Taschentuch weg, ein andermal ein Band, das sie sich ins Haar zu flechten pflegte; ich küßte diese Gegenstände ganze Nächte lang und benetzte sie mit meinen Tränen. Anfangs war mir Katjas Gleichgültigkeit schmerzlich und kränkend gewesen; aber jetzt war in meinem Innern alles unklar geworden, und ich konnte mir selbst von meinen Gefühlen keine Rechenschaft geben. Auf diese Weise verdrängten neue Empfindungen allmählich die alten, und die Erinnerungen an meine traurige Vergangenheit verloren ihr Schmerzliches und vermischten sich in meiner Seele mit den Eindrücken des neuen Lebens.
Ich erinnere mich, daß ich manchmal in der Nacht aufwachte, vom Bette aufstand und auf den Zehen zu der Prinzessin hinging. Ich betrachtete die schlafende Katja stundenlang bei dem schwachen Lichte unserer Nachtlampe; manchmal setzte ich mich zu ihr auf das Bett und beugte mich über ihr Gesicht, so daß ihr warmer Atem mich anwehte. Ganz sacht, vor Angst zitternd, küßte ich ihre Hände, ihre Schultern, ihre Haare, ein Füßchen, wenn eines unter der Bettdecke hervorsah. Allmählich bemerkte ich (denn ich verwandte ja einen ganzen Monat lang keinen Blick von ihr), daß Katja von Tage zu Tage nachdenklicher wurde; ihr Wesen verlor seine Gleichmäßigkeit: mitunter war den ganzen Tag über von ihr kein Geräusch zu hören; ein andermal machte sie ein solches Getöse, wie es früher noch nie dagewesen war. Sie wurde reizbar, anspruchsvoll, errötete oft, ärgerte sich sehr häufig und verstieg sich mir gegenüber sogar zu kleinen Grausamkeiten: bald wollte sie auf einmal bei Tische nicht neben mir sitzen, wie wenn sie einen Widerwillen gegen mich empfände; bald ging sie zu ihrer Mutter und saß dort ganze Tage lang, obwohl sie vielleicht wußte, daß ich mich in ihrer Abwesenheit vor Sehnsucht verzehrte; bald begann sie plötzlich, mich stundenlang anzusehen, so daß ich nicht wußte, wo ich vor tödlicher Verlegenheit bleiben sollte, und abwechselnd rot und blaß wurde, dabei aber doch nicht wagte, das Zimmer zu verlassen. Schon zweimal hatte Katja über Fieber geklagt, während man sich nicht erinnern konnte, daß sie früher jemals krank gewesen wäre. Schließlich wurde auf einmal eines Morgens eine besondere Einrichtung getroffen: auf den dringenden Wunsch der Prinzessin wurde sie nach unten umquartiert, zu ihrer Mama, die beinah vor Angst starb, als Katja wieder über Fieber klagte. Es muß noch gesagt werden, daß die Fürstin mit mir sehr unzufrieden war und die ganze von ihr wahrgenommene Veränderung in Katjas Wesen mir und der Einwirkung meines düsteren Charakters, wie sie sich ausdrückte, auf den Charakter ihrer Tochter zuschrieb. Sie hätte uns schon längst getrennt, hatte es aber vorläufig aufgeschoben gehabt, da sie wußte, daß sie darüber einen ernsten Streit mit dem Fürsten auszufechten haben würde; denn obwohl der Fürst ihr in allem nachgab, zeigte er sich doch mitunter hartnäckig und fest bis zur Unbeugsamkeit. Und sie kannte den Fürsten ganz genau.
Ich war über den Umzug der Prinzessin sehr bestürzt und verbrachte eine ganze Woche in der qualvollsten Spannung. Ich grämte mich und zerbrach mir den Kopf darüber, warum Katja nur einen solchen Widerwillen gegen mich empfinden möge. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte meine Seele, und ein Gefühl der Empörung über das mir angetane Unrecht regte sich in meinem schwer gekränkten Herzen. Ein gewisser Stolz bildete sich auf einmal in mir heraus, und wenn ich mit Katja zu der Stunde zusammentraf, wo wir spazieren geführt wurden, dann blickte ich sie so ernst und selbstbewußt, so ganz anders als früher an, daß dies auch ihr auffiel. Allerdings gingen solche Veränderungen in meinem Innern nur ruck- und stoßweise vor, und dann begann mir das Herz wieder immer mehr und mehr weh zu tun, und ich wurde noch schwachherziger und kleinmütiger als vorher. Endlich, eines Morgens, kehrte zu meiner größten Verwunderung und freudigen Erregung die Prinzessin nach oben zurück. Zunächst fiel sie laut lachend Madame Léotard um den Hals und erklärte, sie wolle wieder zu uns ziehen; dann nickte sie auch mir zu, bat für diesen Morgen um Dispens vom Unterricht und tollte und lief den ganzen Vormittag umher. Ich hatte sie noch nie lebhafter und vergnügter gesehen. Aber gegen Abend wurde sie still und nachdenklich, und eine gewisse Traurigkeit beschattete wieder ihr reizendes Gesichtchen. Als die Fürstin am Abend
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