Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
sogleich, noch in diesem Augenblick – die Seele den Körper verlassen wird, und daß du dann kein Mensch mehr sein wirst, und daß es doch unfehlbar geschehen muß. Das Entsetzliche ist ja gerade dieses ›Unfehlbar‹. Gerade wenn man den Kopf unter das Messer beugt und dann hört, wie es von oben klirrend herabglitscht – gerade diese Viertelsekunden müssen die furchtbarsten sein! ... Wer hat es denn gesagt, daß die menschliche Natur fähig sei, diesen Tod ohne die geringste Geistesverwirrung zu ertragen? Und wozu diese häßliche, überflüssige, so unglaublich überflüssige Beschimpfung des Menschen? Vielleicht gibt es irgendwo einen Menschen, dem das Todesurteil verlesen worden ist, der diese Qualen bis zum letzten Augenblick durchkostet und dem man dann gesagt hat: ›Geh, dir ist die Strafe erlassen.‹ Ja, solch einer könnte dann vielleicht erzählen. Von diesen Qualen und diesem Entsetzen hat auch Christus gesprochen.«
Die Zuchthausstrafe ertrug er mit großer Demut. Er beklagte sich nicht und liebte es nicht, wenn ihm die andern ihr Mitleid zeigten. Er bemühte sich, seine Erinnerungen an das Zuchthaus ebenso zu veredeln und zu idealisieren, wie die Erinnerungen an seine Kindheit; er sah in der Strafe eine strenge, aber heilsame Lehre, ohne die er keinen Ausweg zu einem neuen Leben hätte finden können. »Ich murre nicht,« schreibt er seinem Bruder aus Sibirien, »dieses ist mein Kreuz, und ich habe es verdient.« Wenn er auch wirklich nicht murrte, so darf man nicht außer acht lassen, was diese Demut ihn kostete.
»Ich war nahe daran, zu verzweifeln. Es ist schwer wiederzugeben, was ich in dieser Zeit alles durchgemacht habe.« – »Diese vier Jahre betrachte ich als eine Zeit, in der ich lebendig begraben, in einem Sarge eingekerkert war. Ich kann dir, lieber Bruder, gar nicht schildern, wie schrecklich diese Zeit gewesen ist. Es war eine unaussprechliche, unendliche Qual, denn jede Stunde und jede Minute lastete wie ein schwerer Stein auf meiner Seele. Während der ganzen vier Jahre gab es keinen Augenblick, in dem ich nicht gefühlt hätte, daß ich im Zuchthause bin. Wenn ich auch hundert Bogen vollschreiben wollte, könnte ich dir doch keinen Begriff von meinem damaligen Leben geben. Denn so etwas muß man zumindest selbst gesehen, – ich sage gar nicht, durchgemacht haben.«
Alles, wonach sich Leo Tolstoi immer sehnte, wonach er strebte und was in seiner Anschauung oft sehr tief gewesen sein mag, doch in die Tat umgesetzt einer Spielerei ähnlich sah: – Verzicht auf den Besitz, körperliche Arbeit, Annäherung an das gemeine Volk, – dies alles mußte Dostojewski in Wirklichkeit durchmachen, und dazu noch mit einer so erdrückenden Härte, wie man sie sich überhaupt nur denken kann.
Der Halbpelz und die Ketten des Zuchthäuslers waren für ihn durchaus kein abstraktes Symbol, sondern ein wirkliches Zeichen seines bürgerlichen Todes und seiner Ausstoßung aus der Gesellschaft. Mag Leo Tolstoi noch so viele Bäume für arme Bauern fällen, mag er noch so viel im Schweiße seines Angesichts pflügen, – es wird immer weniger eine Arbeit, als eine Art Sport, asketische Übung und Gymnastik sein. Ebenso wie ein Mensch, der irgendeinen bestimmten körperlichen Schmerz niemals empfunden hat, ihn sich unmöglich vorstellen kann, so sehr er sich auch Mühe gibt, ihn sich zu vergegenwärtigen, so kann auch derjenige, der niemals wirkliche Not gelitten hat, sie unmöglich verstehen, soviel er auch über sie nachdenkt und diskutiert.
In dieser Hinsicht war Dostojewski glücklicher als Tolstoi. Im ersten Jahre seines Zuchthauslebens mußten die Sträflinge zwei Monate lang Ziegelsteine von den Ufern des Irtysch auf eine Entfernung von etwa siebzig Klafter zu einem Kasernenneubau, über den Festungswall hinüber schleppen. »Diese Arbeit,« erzählt Dostojewski, »gefiel mir sogar nicht übel, obwohl mir der Strick, mit dem ich die Steine tragen mußte, ständig die Schultern wund rieb. Doch die Wahrnehmung, daß diese Arbeit meine körperlichen Kräfte stärkte, machte mir Freude.« Welch ein Unterschied zwischen Dostojewski und dem pflügenden Leo Tolstoi!
Wenn ihm die Wahrnehmung, daß die Arbeit seine körperlichen Kräfte stärkt, Freude macht, so ist es doch keine abstrakte, symbolische Arbeit. Er wußte, daß wenn es ihm einfallen würde, einmal zu dieser Arbeit des Ziegeltragens, die ihm solches Vergnügen bereitete, nicht zu erscheinen, – ihn Flüche und Prügel der
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