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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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das einfache Volk von der zivilisierten Gesellschaft trennt; den Abgrund, an dessen Saume Tolstoi in seinen literarischen und moralischen Betrachtungen sein Leben lang dahingeglitten war.
    Dostojewski schrieb die Entstehung seiner Epilepsie dem Aufenthalte im Zuchthause zu. Wir wissen aber nach einem andern Zeugnis, daß er an dieser Krankheit schon als Kind gelitten hatte. Der »gewesene Staatsverbrecher Dostojewski« behauptet in seinem Briefe an Kaiser Alexander II., daß seine Krankheit schon im ersten Jahre seines Aufenthaltes im Zuchthause aufgetreten wäre. »Mein Leiden,« fügt er hinzu, »wird immer schlimmer. Bei jedem Anfall verliere ich anscheinend das Bewußtsein und alle seelischen und körperlichen Kräfte. Mich erwartet eine vollständige Lähmung, Tod oder Wahnsinn.« Wir wissen, daß es in seinem Leben wirklich Perioden gegeben hat, wo ihm die Epilepsie mit vollständiger geistiger Umnachtung drohte. »Die epileptischen Anfälle,« berichtet Strachow, »wiederholten sich ungefähr einmal in jedem Monat; das war der gewöhnliche Verlauf der Krankheit. Bisweilen aber, wenn auch nur sehr selten, kamen die Anfälle öfter, sogar zweimal wöchentlich.«
    »Einmal,« fährt Strachow in seiner Erzählung fort, »es war, wenn ich nicht irre, im Jahre 1863 am Ostersonnabend, kam er ziemlich spät, etwa gegen elf Uhr, zu mir und wir gerieten in ein lebhaftes Gespräch. Ich erinnere mich nicht mehr, über welchen Gegenstand wir gerade sprachen, aber jedenfalls war es ein sehr wichtiges abstraktes Thema. Fjodor Michailowitsch war sehr aufgeregt und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, während ich am Tische saß. Er sagte irgend etwas Großartiges, Frohes, und als ich seinem Gedanken mit einer Bemerkung beistimmte, da wandte er sich mit begeistertem Gesicht zu mir, mit einem Ausdruck, der deutlich verriet, daß seine Begeisterung ihren höchsten Grad erreicht hatte. Für einen Augenblick blieb er stehen, als suche er nach Worten für seinen Gedanken, und öffnete schon den Mund. Ich sah ihn mit Spannung an, denn ich fühlte, daß er etwas Außergewöhnliches sagen, daß ich vielleicht eine Offenbarung hören werde. Plötzlich drang aus seinem offenen Munde ein seltsamer, gezogener, sinnloser Schrei, und er fiel bewußtlos mitten im Zimmer hin.«
    Jeder epileptische Anfall war für Dostojewski wie ein ungeheurer Sturz, wie eine Erleuchtung, wie ein sich plötzlich öffnendes Fenster, das ihm einen unerwarteten Ausblick auf das jenseitige Licht gewährte. »Einige Augenblicke lang,« berichtet er selbst, »empfinde ich ein solches Glück, wie es bei gewöhnlichem Zustande gar nicht möglich ist und von dem die andern Menschen gar keine Vorstellung haben. Ich fühle in mir und in der ganzen Welt die vollkommenste Harmonie, und dieses Gefühl ist so stark und so süß, daß man für einige Sekunden dieser Seligkeit zehn Jahre seines Lebens, vielleicht sogar sein ganzes Leben hingeben könnte.« – Aber nach den Anfällen befand er sich immer in einem schrecklichen Zustand. Er konnte seinen Kummer und eine gewisse gesteigerte Sensibilität kaum überwinden. Das Wesen dieses Kummers bestand nach seinen eigenen Worten darin, daß er sich als Verbrecher empfand und den Wahn nicht abschütteln konnte, eine unbekannte Schuld, ein ungeheures Verbrechen laste auf ihm.
    Wer weiß, vielleicht berühren wir in diesem Punkte das, was im Wesen Dostojewskis, in seiner körperlichen und seelischen Organisation am ursprünglichsten und unbegreiflichsten ist? Laufen nicht in diesem Knotenpunkt alle Fäden des Knäuels zusammen? Und hat man nicht zuweilen den Eindruck, daß gerade diese Anfälle, diese plötzlichen Entladungen einer unserer Erforschung unzugänglichen, doch vielleicht stumm in uns allen ruhenden und gleichsam wartenden Kraft die körperliche Hülle Dostojewskis, jenes Gewebe aus Fleisch und Blut, das die Seele von allem scheidet, was jenseits von Fleisch und Blut liegt, feiner und durchsichtiger als bei den andern gemacht haben, so daß er durch diese Hülle Dinge sehen konnte, die vor ihm noch kein Sterblicher geschaut hat?
    »Ich habe noch nie im Leben,« sagt Dostojewski, »ein Werk anders als gegen Vorausbezahlung verkauft. Ich bin ein Proletarier unter den Schriftstellern, und wenn jemand meine Arbeit will, so muß er mich im voraus bezahlen.« Dieser Mensch, der einen solchen Stolz besaß, einen solchen, wie er sich ausdrückte, Ehrgeiz, »als ob man ihm die Haut vom Leibe gezogen hätte und ihm jeder

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