Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
solche Not gelitten, daß unsere letzte Wäsche auch heute noch im Leihhause ist; (erzählen Sie niemand davon,)« fügt er in Klammern verschämt und schmerzvoll hinzu. »Ich werde jetzt meine letzten und unentbehrlichsten Sachen verkaufen müssen und dabei für irgendeinen Gegenstand, der hundert Taler wert ist, zwanzig Taler bekommen; dies alles werde ich zur Errettung dreier Menschenleben tun müssen, wenn er mit seiner, wenn auch zustimmenden Antwort noch lange zögern wird.« Dieser er , dieser letzte Strohhalm, an den er sich wie ein Ertrinkender klammert, ist ein gewisser Herr Kaschpirjow, der Herausgeber der Zeitschrift »Sarja« (»Morgenrot«), ein Mensch, den er gar nicht kennt, den er aber anfleht, ihm zweihundert Rubel zu schicken. »Da es ihm aber möglicherweise schwer fallen wird, meine Bitte zu erfüllen, bitte ich ihn, er möchte mir vorläufig nur fünfundsiebzig Rubel schicken (um mich aus dem Wasser zu ziehen und nicht sofort untergehen zu lassen) ... Da ich die Persönlichkeit Kaschpirjows gar nicht kenne, schreibe ich ihm in außerordentlich ehrfurchtsvollem, wenn auch etwas energischem Tone (ich fürchte, daß er sich irgendwie verletzt fühlen wird, denn der ehrfurchtsvolle Ton ist übertrieben, und der ganze Brief scheint mir etwas dumm aufgesetzt zu sein).« Nach kaum vier Wochen schreibt er wieder an Maikow: »Von Kaschpirjow habe ich bisher noch keine Kopeke erhalten, nur leere Versprechungen! Wenn Sie nur wüßten, in welcher Lage wir uns jetzt befinden. Wir sind ja unser drei: ich, meine Frau (Dostojewskis zweite Frau Anna Grigorjewna), die das Kind stillt und folglich ordentlich essen muß, und das Kindchen (die neugeborene Ljuba), das bei unserer Not so leicht erkranken und sterben kann!« – »Glaubt er (Kaschpirjow) vielleicht,« fährt Dostojewski fort, »daß mein Brief, in dem ich meine Notlage schilderte, nur eine Stilübung war? Wie kann ich arbeiten, wenn ich hungrig bin und sogar meine Hose versetzen mußte, um mir die zwei Taler fürs Telegramm zu verschaffen? Hole der Teufel mich und meinen Hunger! Aber sie, meine Frau, die jetzt ihr Kind stillt, mußte selbst ins Leihhaus gehen und ihren letzten warmen wollenen Rock versetzen! Hier schneit es aber seit zwei Tagen (ich lüge nicht, schauen Sie nur in den Zeitungen nach!). Wie leicht kann sie sich erkälten! Kann er denn nicht begreifen, daß ich mich schäme, ihm dies alles zu erklären!« Und so geht es weiter: immer dieselben Wiederholungen des gleichen Themas, eintönig und nutzlos wie das Stöhnen bei wahnsinnigem Schmerz. Es sind keine Geschäftsbriefe mehr, sondern Delirien; keine Klagen, sondern Schreie der Verzweiflung.
»Und sie fordern von mir Literatur!« schließt er wutschäumend. »Kann ich denn in solcher Verfassung schreiben? Ich renne herum und raufe mir die Haare, und kann nachts nicht schlafen! Ich zerbreche mir den Kopf und rase! Ich warte! Oh mein Gott! Bei Gott, bei Gott, ich kann die Einzelheiten meiner Notlage gar nicht schildern: ich schäme mich es zu tun! ... Und dabei verlangen sie von mir künstlerische Abgeklärtheit, eine Poesie ohne Spannung und Trübung und weisen mich auf Turgenjew und Gontscharow hin! Mögen sie nur sehen, in welcher Lage ich arbeiten muß! ...« Und so war sein ganzes, oder fast sein ganzes Leben.
Das Streben zur absoluten Vollkommenheit, die Befriedigung seines eigenen künstlerischen Gewissens war für Dostojewski eine Lebensfrage. »Glauben Sie nur nicht,« schreibt er an Maikow im selben schrecklichen Jahre 1869, »daß ich Pfannkuchen backe: wie schlecht mir auch, manches, was ich schreibe, gerät, so ist doch die Idee des Romans und ihre Ausführung mir Armem, d. h. dem Autor, teurer als alles in der Welt! Denn es handelt sich bei mir nicht um Pfannkuchen, sondern um eine mir überaus wertvolle Idee, mit der ich mich schon lange herumtrage. Selbstverständlich werde ich sie verpatzen, doch was soll ich machen?« – »Sie werden es mir kaum glauben wollen: manches Kapitel, zu dem ich mir drei Jahre lang Notizen gemacht und das ich dann endgültig niedergeschrieben habe, verwerfe ich schließlich, um es neu zu schreiben und dann wieder zu verwerfen.« Als er mit dem Schlusse eines seiner schönsten und tiefsten Werke, des »Idiot«, beschäftigt war, klagte er: »Der Roman ekelt mich an, so unzufrieden bin ich mit ihm ... Jetzt will ich für den dritten Teil meine letzten Kräfte zusammennehmen. Wenn ich den Roman verbessere, komme ich auch selbst in die Höhe;
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