Werke
mit Euch in der Zentralhalle?«
Das war zuviel. »Ohm Riew’«, sagte sie, »unsere Anna ist ein Kind; – ich aber bin mein langes Leben hindurch eine ehrenwerte Frau gewesen! Wir werden sie nicht verunehrt haben!«
Du lieber Gott! sie wußte nicht einmal, weshalb Rick Geyers in sein frühes Grab getaumelt war.
Nicht lange darauf kam ich eines Abends spät nach Hause; da die Straßentür noch offenstand, so trat ich, ohne daß es schellte, in den Flur. Es war schon dunkel hier, nur durch das Guckfenster in der Ladentür fiel ein Schein heraus. Ich stand einen Augenblick, denn ich hörte, wie drinnen eine Herrenstimme sprach, und allerhand, was ich erst nicht reimen konnte.
»Verzeihung, Madame«, sagte der Jemand, »die Toilette ist keineswegs kostbar, nur ein weißes weiches Gewand und weiter nichts! Es darf sich keine vor der andern auszeichnen; die Blumen wird die Gesellschaft den Damen liefern; und ich würde hier« – er sprach das wie mit einer zärtlichen Verbeugung – »um die Erlaubnis bitten, dem Fräulein blaßrote Rosen anbieten zu dürfen! «
Es entstand eine Pause ; dann schien unsre tugendhafte Mutter eine leise Bedenklichkeit zu äußern, die ich nicht verstehen konnte. Aber der Unbekannte sprach sogleich: »Pardon, Madame; das ist es ja; nicht Rang und Stand, denen unsereiner gern einmal entflieht, soll hier den Ausschlag geben, sondern Schönheit und gute Sitten; doch da dieselben selten beieinander sind, so wird der Zirkel nur ein kleiner sein, ein Dutzend Paare etwa. Sie wissen, in den richtig konstruierten Familien ist stets die Mutter die Schöpferin der Tugend ihrer Kinder; und nicht jede Tochter, Madame, ist so glücklich wie die Ihre!«
›Damned scoundrel!‹ brummte ich bei mir selber, denn mir war, als sähe ich durch die Tür ihn jetzt sein nichtsnutziges Kompliment gegen unsre Alte machen. Und wer war denn der Monsieur? – Am Ende der Versucher in eigener Person; nur in Monako beim Pharao und beim Roulett, unter dem vornehmen nichtsnutzigen Volk war mir solche Menschenstimme vorgekommen.
Unwillkürlich trat ich dem Guckfenster näher, denn ich hörte schon die Alte sagen: »Oh, Herr Baron, wenn doch alle Ihresgleichen solche Grundsätze hätten!«
Aber der Versucher war schon wieder da: »Ich bitte, Madame, beurteilen Sie uns nicht voreilig! Der Präsident unserer Gesellschaft ist von einer Strenge, daß man sich ihm gegenüber um sich selber, ja fast um unsre Damen bangen dürfte; aber – enfin, er wurde gewählt, und zwar mit allen Stimmen!«
Ein Ruf des Erstaunens entfuhr unserem alten Tugendmöbel, als ich eben in das Fenster sah. Ein großer, eleganter Herr saß beinbaumelnd vorne auf dem Ladentisch; wahrhaftig, Herr Nachbar, ich weiß noch heute, daß das Bein in perlgrauen Hosen steckte! Im übrigen alles, wie man’s nur verlangen konnte: dünnes, aber modisch frisiertes schwarzes Haar, ein kleiner Schnurrbart in einem glattrasierten Angesicht; die eine Hand, in hellem knappem Handschuh, lag mit dem Augenglas auf seinem Knie. Er sah nicht übel aus, beileibe nicht! Aber um Mund und Augen zuckte etwas ich kannte es wohl, Herr Nachbar –, es macht die Weiber fürchten und fängt sie endlich doch, wie arme Vögelchen! Man soll nur wissen, daß nichts als böse Lust dahintersteckt.
Die Alte stand mit übergeschlagenen Händen vor ihm und sah in dummer Anbetung zu ihm auf. Für mich, das muß ich sagen, hatte der Geselle eine verflucht konfiszierte Physiognomie! Er hatte stets nur zu der Mutter geredet; aber Anna, die dort im Winkel stand, sah mit brennenden Augen auf ihn hin. War das am Ende ihre vornehme Bekanntschaft, von der jene Mädchen gesprochen hatten?
Ich ging zurück an die Haustür und stieß sie zu, daß die Glocke läutete; dann trat ich in den Laden. Mein Erscheinen mochte den drinnen eben kein groß Pläsier machen: Anna kam aus ihrer Ecke und ging daran, einige Bänder und Spitzen vom Tische in einen Pappkasten zu räumen; der fremde Musjö hob sein Glas an die Augen und sah auf mich herab, als ob ich unter seinem Blick verschwinden müßte.
Aber ich verschwand nicht, sondern setzte mich auf einen Stuhl neben der Tür und sagte: »Schön warm hier drinnen; guten Abend, meine Herrschaften!«
Das alte Weib drehte sich hin und her. »Unser Onkel Riewe, Herr Baron!« sagte sie. »Er wohnt bei uns im Hause.«
»So?« erwiderte er gleichgültig und streckte das Kinn vor, und ich hörte ordentlich, wie das kleine Wort zu Boden fiel: »Sehr
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