Werke
Dienst gestanden war, so gehörten wir zu seiner ihm noch jetzt verbliebenen Kundschaft. Die Aufträge meiner Frau waren, nach deren Äußerung, bisher prompt und sauber ausgeführt; nur eben jetzt hatten wir lange auf ein Badewännchen für unser kränkelndes Kind gewartet. »Geh doch einmal selber bei dem Alten vor«, sagte sie eines Tages zu mir; »dein Spaziergang führt dich ja oft dort vorbei!«
Als ich mich, des gedenkend, am folgenden Nachmittage seinem Hause näherte, sah ich dort eine Leiter über der Haustür angelehnt; den darauf Stehenden aber verbarg mir das Laub des Lindenbaumes. Als ich herantrat, erkannte ich unseren alten Meister selber; er hatte in der einen Hand einen Meißel, in der andern einen Hammer und war damit beschäftigt, den vor Jahren dem Türstück angestrichenen Mörtel wieder loszuarbeiten, und schon sah der Schädel des Todes wieder aus dem wüsten Staub hervor.
Als der Alte auf meinen Gruß, den ich ihm hinaufrief, mich erkannte, kam er hastig von seiner Leiter herabgeklommen und führte mich durch den schmalen Hausflur in die Werkstatt. »Es ist fertig, ganz fertig, Herr Landvogt!« sagte er und sah mich aus erschreckend hohlen Augen an; »daß Ihre gute Frau mir nur nicht bös wird! Ich hatt’s vergessen; rein vergessen – die letzten Wochen!« Er griff in eine Ecke und wies mir die fertige Wanne vor. »Die letzten Wochen!« wiederholte er noch einmal leise vor sich hin.
Ich faßte seine Hand und fühlte, wie sie in der meinen bebte. »Ich weiß es, Meister«, sagte ich; »sie haben großes Leid zu Euch gebracht.«
Da hörte ich den Dompfaff pfeifen, den ich bis jetzt nur von Hörensagen kannte; er hing in seinem Bauer jetzt hier in der Werkstatt innerhalb eines kleinen Oberfensters; vom Hofe nickte ein blühender Flieder zu ihm herein.
Der Vortrag des kleinen Künstlers schien mir so lieblich, ja – was indes wohl nur die Folge meiner Stimmung war so voll Empfindung, daß ich schweigend horchte. »Da habt Ihr einen anmutigen Hausgenossen!« sagte ich.
Der Alte ließ den weißen Kopf sinken. »Den letzten«, murmelte er; »und nur ein Vögelchen.«
»Den letzten? Ich dachte, es wohne auch noch so ein altes munteres Jüngferchen bei Euch?«
Meister Daniel nickte: »Ja, ja, Herr; nur – sie hat die anderen nicht gekannt; der« – und er schaute zärtlich zu dem Vogel auf – »ist noch von meinem Fritz!«
Ich hätte ihm zurufen mögen: ›Laßt nicht den Kopf hängen, Alter! Wer weiß, der Fritz kommt dennoch eines Tages in die Tür gesprungen, und es wird wieder jung und lustig in Euerem Hause!‹ Denn ich traute dem verlumpten Schwätzer nicht, der jene Kunde über das Meer gebracht hatte; aber dennoch – es sah dem Fritz zu ähnlich, und das Ende war wie ein Blatt aus einer Tagesnummer von da drüben; ich gab schweigend dem alten Mann die Hand. »Meine Frau wird die Wanne holen lassen«, sagte ich; »möge Gott Euch trösten, Meister Daniel; die Welt ist ja so reich.«
Als ich aber einen Blick auf den gebrochenen Mann warf, der noch immer nach dem Vogelbauer starrte, als gäbe es nun nichts Weiteres für ihn, da schämte ich mich meiner dummen Weisheit und wollte schweigend davongehen.
In der Haustür aber hatte er mich eingeholt; er hielt die Zipfelmütze in der Hand. »Verzeiht! Verzeiht, Herr!« wiederholte er ein paarmal mit einem unbeholfenen Diener.
Nur ein paar Häuser weit hatte ich mich entfernt, als ich schon wieder von der Leiter herab die Schläge des Hammers auf den Meißel hörte; der Alte arbeitete schon wieder seinen Tod zutage.
– – Sie sagten, Meister Daniel sei wunderlich geworden, und es war vielleicht auch so; freilich die wenige Arbeit, die er noch zu verrichten hatte, geriet ihm nach wie vor; aber das Handwerk, oder was davon in früheren Jahren in seinem Kopfe hatte sitzen müssen, war ihm allmählich in die Faust hinabgestiegen, und die war noch leidlich zu gebrauchen. Im übrigen hatte er seine alten Bücher wieder in die Schubladen gepackt: was sollte er von den Dingen der Welt noch lesen, da seine Lieben keinen Teil mehr an ihr hatten! Für ihn war jetzt ein anderes: wenn abends die Dämmerung sich dem Dunkel nahte oder wenn der Mond aus seiner Himmelshöh’ herabschien, dann schritt Daniel aus seinem Hause die Süderstraße hinab, über den Markt und hinten durch den einsamen Schloßgang, durch die Lindenalleen und durch den Totengang nach dem Kirchhof. Er trug keine Blumen oder Kränze dahin; aber unter der kleinen Linde, die
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