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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Bette aufgerichtet und drückte ihre eingewickelten Schmachtlöckchen an die Schläfen; denn sie wollte nicht schlafen, bevor auch ihr alter Mietsherr zur Ruhe wäre. »Gott sei tausendmal Dank!« sagte sie, als sie ihn endlich aus der Werkstatt in den Flur treten hörte. – Aber, was war das? Er ging nicht nach der Treppe; die Hoftür wurde aufgeschlossen und geöffnet; er ging hinaus in all das Wetter!
    Sie saß noch eine Weile; aber so gleichmäßig, so einlullend strömte jetzt der Regen; Mamsell Riekchen war zurückgesunken; ihre Atemzüge verkündeten deutlich den gesunden Schlaf.
    – – Nur der schwindsüchtige Nachbar Schneider, dessen Schlafkammer nach dem Garten lag, hatte erst eben vor dem Zubettegehen das Licht gelöscht und wachte noch mit seiner Ehefrau: erst vor einem halben Stündchen hatte er die Nadel in das Kissen gesteckt.
    »Huste doch nicht so, Jan Peters!« sagte die stämmige Ehehälfte, die neben ihm unter der Decke lag.
    »Ja, ja, Trine, mit deinen Lungen würde ich’s auch nicht tun. Horch nur, wie der Regen palscht!«
    In diesem Augenblicke hörten beide die Hintertür des Böttcherhauses aufklinken und bekannte Schritte durch den Gang nach dem Garten traben. »Um Christi Barmherzigkeit!« rief das Weib; »ich glaub, der alte Basch will noch spazierengehn!«
    »Laß ihn!« sagte der Schneider und hustete wieder.
    »Nein, nein! Was hat das zu bedeuten?« Und das Weib sprang mit beiden Füßen aus dem Bett und stellte sich an das Fenster, um die Finsternis draußen mit ihren runden Augen zu durchdringen. »Ich glaub«, sagte sie, »er watet drunten in seinen Kartoffeln, die auch längst im Keller sein sollten! Was will er denn in den Kartoffeln?«
    Der Mann im Bett antwortete nicht; aber in demselben Augenblick drangen durch das Getose des Wetters von drunten aus dem Nachbarsgarten ein paar Worte zu ihnen herauf. »Papchen, gut Papchen!« hörten sie es schmeichelnd rufen; dann aber, nachdem eine Weile der stärker niederstürzende Regen jeden Laut verwischt hatte, erscholl ein Jammerruf, daß der müde Schneider aus seinen Kissen in die Höhe fuhr.
    »Still!« rief das Weib und drängte ihren Kopf noch härter an die Scheiben.
    »Trine!« begann der Mann wieder; »das war der alte Basch! Sollen wir ihm auch zu Hülfe kommen? Wenn ich da draußen wär, ich holte mir den Tod.«
    Sie antwortete lange nicht; dann nach einigem Rufen war es still geworden. »Laß ihn!« sagte sie; »die Verrückten können mehr vertragen als du; was will er mit seinem Vogel nachts im Garten laufen?«
    Damit war sie wieder unter die Decke gekrochen; vom Kirchturm schlug es elf; und bald danach schnarchten auch die beiden Schneidersleute.
    – – Aber am Tage darauf lief es durch die Nachbarschaft dem alten Basch sei am vorigen Abend sein Vogel davongeflogen; nun sei er in dunkler Regennacht in seinen Kartoffeln umhergelaufen und habe unter jeder Staude visitiert; und ein Spaß für die ganze Stadt war es, als am Nachmittage der Bettelvogt durch die Straßen wanderte und, mit seinem Schlüssel an das große Messingbecken schlagend, ausrief, dem Bötjer Daniel Basch sei sein kunstvoller Dompapst fortgeflogen und wer ihn wiederbringe, solle guter Belohnung gewiß sein! »Wahrhaftig«, riefen die Nachbaren lachend; »das hat Mamsell Therebintchen angeordnet; sie läßt es sich ein Stückchen Silber kosten: am Ende will sie noch den Alten heiraten!«
    Und recht hatten sie darin, daß Mamsell Riekchen den Aufruf hatte anstellen lassen; aber der Vogel kam nicht wieder. »Ja, ja«, verteidigte sich der dicke Bettelvogt, als Riekchen bei Auszahlung seiner Gebühr ihn deshalb zur Rede stellte; »wenn’s eine Katz oder auch nur ein Karnickel gewesen wär, ich wollte nichts davon sagen; aber so Vögel mit Schwanz und Flügeln, die können eigentlich gar nicht ausgerufen werden.« Und während Mamsell Riekchen über diese unerwartete Antwort sich in ein verwickeltes Nachdenken verlor, ging der Ausrufer behaglich hustend zur Tür hinaus.
    Noch einmal kroch sie mit dem Alten in Haus und Garten umher; aber nur das leere Bauer war geblieben, das mit seinem offenen Türchen die ganze Werkstatt zu veröden schien. Als Riekchen nach all dem vergeblichen Suchen den Kräften des alten Mannes mit den Veronikatropfen ihrer Gräfin aufhelfen wollte, schüttelte er langsam seinen weißen Kopf: »Ich danke, gutes Mamsellchen; das ist nicht anders; die irdischen Freuden sind vorüber.« Dann sah er durch das Fenster in den blauen

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