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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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auf Linas und Salomes Grabe wuchs, hatte er ein schmales Bänkchen zimmern lassen; dort saß er und blickte, solange noch ein Schimmer davon sichtbar war, nach Westen auf das Meer und dachte an die Ewigkeit, welche nur allein noch vor ihm lag.
    Aber auch wenn schon das Dunkel ihn rings umschlossen hatte, blieb er dort mitunter sitzen.
    Da er eines Abends erst nach elf Uhr seine Haustür aufschloß, kam ihm Mamsell Riekchen aus ihrer Stubentür mit einem brennenden Licht entgegen; sie hatte so lang in Schillers »Räubern« gelesen. »Mein Gott, Herr Basch, wo kommen Sie her? Ich denk, Sie liegen über mir in Ihrem Bett; sonst hätt ich die grauliche Geschichte nicht so spät gelesen!« Plötzlich hüpfte sie auf und nahm ihm ein weißes Blättchen von einem Grabkranz aus den Haaren. »Das ist ja von dem Kirchhof!« schrie sie. »Was machen Sie auf dem Kirchhof?«
    Der Alte nickte: »Ja, ja, Mamsellchen!«, und ein wunderliches Glänzen brach aus seinen Augen; »mein selig Mutter war heut auch bei uns, in ihrer kalmankenen Nachtjacke; aber sie hatte Erde auf ihren weißen Haaren; nur mein Fritz – die Reise war auch wohl zu weit«, setzte er leis und wie entschuldigend hinzu.
    »Herr Basch«, rief Mamsell Riekchen und wehte abwehrend mit ihrem Schnupftuch gegen ihn, »Sie machen einem bange! Kommen Sie; ich leuchte Ihnen nach Ihrer Kammer; ich koche noch schnell ein Täßchen Kamillentee, damit Sie auf andere Gedanken kommen!« Und der Alte ließ sich hinaufleuchten und trank geduldig den Kamillentee.
    »Ihr gütigen Engel!« rief Mamsell Riekchen, da sie unten in ihrem Zimmer war, »er ist ganz wunderlich; aber bei solcher Stirn – was war da andres zu erwarten!«
    – – Von der Zeit an hielt Mamsell Therebinte über des Meisters Hauswesen eine stille Aufsicht; »denn«, sagte sie, »böse Menschen könnten ihm bei hellem Mittag das Dach vom Hause wegstehlen!« – Aber auch der Garten unterlag ihrer Sorge, und sie paßte eifrig auf, daß nicht die Nachbarskatze oder Hühner sich in den von ihr neu angelegten Suppenkrautsbeeten häuslich einrichteten, besonders beunruhigte sie ein fremder Junge, den sie mehrmals durch den Garten gegen das Haus hatte heranschleichen sehen; aber sobald er sie erblickt hatte, war er eilig seitwärts durch die Nachbarsgärten davongerannt, so daß sie von seinem Kopfe nur einen fahlblonden aufgesträubten Haarpull zu Gesicht bekommen hatte. Als sie eines Nachmittags mit Magdalene vom Hause aus in den Garten ging, fuhr diese plötzlich wie erschrocken auf.
    »Was hast du, Lenchen?« frug Mamsell Therebinte.
    »Ich? Nichts«, sagte Lenchen; aber es knatterte drunten zwischen den Büschen, und ihre Augen sahen ängstlich nach dieser Richtung.
    »War der Junge da, von dem ich dir gesagt habe?« frug Riekchen.
    »Nein, ich weiß nicht.«
    »Hm, hm!« machte Mamsellchen, und damit war die Unterredung aus; aber Lenchen mußte nach Hause und schien froh, von der Alten loszukommen.
    Ein paar Tage später war der Junge wieder sichtbar geworden, und diesmal hatte er Mamsell Riekchen sein volles Antlitz zugekehrt; aber sie kannte ihn nicht; er schielte, er hatte eine kurze dicke Nase. »Pfui«, sagte sie; »ein übler Knabe! Was will er? Stehlen? Aber gewiß, so sehen die Spitzbuben aus!«
    Im ersten Augenblick wollte sie zum Meister in die Werkstatt; aber nein, mit dem war jetzo nicht zu reden. Sie schauderte noch ein wenig; dann ging sie in das Haus zurück, versicherte aber bei ihrem Eintritt die Hintertür mit Haken und mit Schlüssel und setzte sich in ihrem Stübchen nachdenklich an ihren engen Strickstrumpf. Soviel war gewiß, und sie nickte bestätigend mit ihrem Köpfchen, die ganze Verantwortung lag jetzt auf ihr.
     
    In dem damals sehr heißen August war ein großes Fest in unserer Stadt; ich weiß nicht, war der König da oder was sonst; aber auf den Abend sollte im Rathaussaal getanzt werden, und seit Mittag war Riekchen Therebinte bald in diesem, bald in jenem Hause, um den Honoratiorentöchtern bei ihrem Staat zu helfen. Meister Daniel hatte den Nachmittag an der Wiederherstellung eines kleinen Eimers gearbeitet; er war schon alt und auseinandergefallen, denn der Meister hatte ihn einst für seinen Fritz gemacht; nun wollte er ihn dem Lenchen schenken, wenn sie nächstens ihn besuchen würde. Ihm war warm dabei geworden, und er mußte sich auch noch fortwährend die winzigen »Gnaupen« vom Gesicht wischen, die derzeit zu wahren Plagegeistern wurden. Aber allmählich verschwanden

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