Werther, der Werwolf - Roman
muß es gewesen sein, außer mir, von mir abgetrennt.Aber höre.
Vor dem Schlafengehen ward mir düster vor Augen, etwas faßte mich an die Gurgel wie Meuchelmörder, mein Herz suchte in wilden Schlägen den bedrängten Sinnen Luft zu machen –Wilhelm! ich wußte nicht mehr, ob ich auf derWelt bin! Recke mich, fletsche, röhre, sinke zu Boden, auf vieren kriech ich durch mein Schlafgemach. Schmerzen durchjagen mich, wie der erbarmungswürdigste Sebastian sie nicht durchlitten, Feuerzungen in allen Gelenken, es streckt mich, ich schrumpfe zugleich, das knackt, als ob es brechen will. Mein Schädel wird lang und länger, ich halte mir die Hand vorAugen, die ich wachsen sehe, Klauen entsprießen ihr, Borsten wachsen, wie ich sie nach meinem Hundebiß mehrfach abgeschnitten, ein Fell wächst, hinterm Nagel beginnend, über die Hand, den Unterarm hoch. So weit ich mein Hemd auch aufreiße, schwarzeWolle! Glaub mir’s, pechschwarz war dies Fell, in dem ich steckte, einWolfspelz,Wilhelm! Dabei hört das Brechen und Biegen und aus sich Herauswollen nicht auf, einzeln fühl ich dieWirbel springen, den Rücken sich runden, die Schultern verzerrt, die Beine geschrumpft, das Becken geschmälert, daß meine Beinkleider, nachdem ich sie erst hinterhergeschleift, abfallen, wie von einem, dem sie nimmermehr passen werden. In dem elendigenAufruhr, der Schmerzenszerstörung, seh ich hilfesuchend zu meinem Hunde hin, der am Feuer liegt, nicht auffährt, dieTollheit nicht mit Sprüngen und Gebell begleitet, liegenbleibt, seine weisenAugen auf mich gerichtet, voll Nachsicht, so scheint mir, weil ich schrecklichesWehklagen anstimme.
– Hilf, Nero! schrei ich den Hund an, als wäre er wahrhaftig der Dämonenwolf, das Zauberwesen, dessen Existenz ich bis heute verleugnet. – Hilf, rette mich!
Der Schwarze legt seufzend die Schnauze auf seine Pfoten und läßt den Urgewalten, die in mir, seinen Lauf. Mit eins ist es vollendet, spüre ich doch, ich bin der Nämliche, aber in neuer Gestalt. Mein Selbst istTier, mein Geist heißtTrieb, meineWünsche, Hoffnungen, selbst die Erinnerungen sind die desTieres.Von jetzt an gebietet der Instinkt, und ich folge ihm ins Freie. Heule verzückt den sich füllenden Mond an, mache mich auf:Witterung gebietet die Richtung, ich kann Dir sagen, nie war eines MenschenWitterung so geschärft. Müßte ich meine neuen, tierischen Sinne benennen, wüßte ich sie nicht anders als übersinnlich zu bezeichnen.Wie meinAuge selbst die tiefste Finsternis mühelos durchdringt! meinem Ohr alles Kreuchen rundum, in der Luft, selbst imWaldboden nicht entgeht, wie ein ferner Geruch mich veranlaßt, mit noch größeren, gewaltigeren Sprüngen vorwärtszusetzen!
Ihr Geruch ist es, Lottens, die milchige Süße ihres Halses, wo er in den Nacken übergeht und der zarte Flaum ihrer Härchen beginnt. Ich wittre es,Wilhelm! als säße das schöne Kind neben mir, es lockt mich, reißt mich voran.Wie ich springe! Nie hast Du einWesen, das sich sonst auf zwei Beinen bewegt, solche Sätze auf allen vieren machen sehen: dem Geparden, dem Leu, selbst demTiger bin ich überlegen, ich,Wolfsblut in mir fühlend! Ich heule und fletsche und setze hechelnd durch denTann, überspringe Felsen,Abgründe, in die der Geschickteste, Stärkste unweigerlich abgestürzt, wollte er sie mit Menschenkräften bezwingen. Ich aber – Freund, beneide mich! ich bin ja außer mir, verwandelt, erhöht in Lust und Kraft, und mag ich auch dieAusgeburt eines höllischen Geistes sein, mich schreckt’s nicht, mich hält nichts mehr auf, heute Nacht – so giert es in mir! heut Nacht muß Lotte mein sein, ob als Kind, alsWeib, als Beute, ob ich sie als Geliebte unter mich beugen werde oder als blutig zuckendes Fleisch – einerlei. Ich hetze voran, daß ich das Jagdhaus in Minuten nur erreiche, während ich sonst dreiViertel einer Stunde brauche.
Vor dem vertrautenTor halte ich, die glühendenAugen zucken hoch, dort die Zimmer der Kinder, darunter die Knechtkammer, zur Linken die Räume, die der alte Mann bewohnt, danebenAlberts Zimmer. Ihr Gemach aber, sei’s aus Schicklichkeit oder Zufall, istAlberts Räumen entgegengesetzt, das Zimmer mit dem Balkon, Schnitzwerk im Giebel. Ich fühl die Stärke, Lottens Balkon, obzwar fünf Meter überm Boden, mit einem Satz zu erreichen, doch neben der Gier nach dem kindlichenWeibe ist eine andere Lust in mir, die Sehnsucht nach Kampf! Du weißt,Wilhelm, Knallerei undAbstecherei, männliche Grillen um das
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