Werther, der Werwolf - Roman
bemerkt, als Lotte und ich uns kennenlernten. Ich seh es wieder vor mir: wie wir die Reihen beim Deutschen durchtanzten, kamen wir an dieser Frau vorbei, die Lottchen ansah und zweimal, mit Bedeutung, den NamenAlbert nannte.Auch jetzt, beiTageslicht, kommt mir ihre Miene in dem nicht mehr jungen Gesicht einzig vor, ich entbiete meinen Gruß, sie läßt mich eintreten, Nero bleibt vor der Schwelle.
Die Frau zeigt auf meineVerletzung, die heftig blutet.
– Laßt mich denVerband erneuern und etwasWohltuendes auflegen.
– Sag sie mir erst, wo ich hier bin, erwidere ich in rüdemTon.
– Da, wo Ihr früher hin gesollt hättet, antwortet dasWeib, bringt auf dem Herd einen Sud zum Kochen und fordert mich auf, das Beinkleid abzulegen.
Drauf ich: Ihr seid kein Medikus, keine in der Gegend bekannte Heilerin, was seid Ihr, eine Hexe?
– Herr! sie lacht.Was nützt Euch ein Name, wer oder was ich bin? Ich stehe in Kontakt mit dem Grafen von W ., nun wißt Ihr genug.
– Mit dem toten Grafen, frage ich, da ich es doch ahne.Wo ist er, wie kann ich ihn finden?
Kopfschüttelnd tritt sie mit einer Schale vor mich. – Ihr müßt Eure Ungeduld zügeln, bis zum dritten Mal der Mond sich füllt.
– Zügeln, nimmermehr! Ich springe zurück, dabei zuckt mir der Schmerz durchs Bein, daß ich hinsinke auf die Bettstatt.
– Man hat Euch gesagt, was mit Euch geschehen wird. Ihr habt es am eigenen Leib erfahren.Welchen Sinn braucht Ihr noch?
Da ich schmerzensbleich schweige, öffnet sie meinen Gürtel. – Der Dämonenwolf hat Euch erwählt.Auszeichnung ist es und kein Fluch, ist mehr als jeder andere Mensch in seinem Leben erhoffen darf.
– Genug! fahr ich sie an. Des Redens über Fluch,Verheißung, Erwähltsein bin ich überdrüssig. Sagt mir zum mindesten dies:Was wird mit Lotten, was mit mir und ihr?
Wilhelm! nur sie, die Holde ist es, nach der mein Sinn geht, sie zu gewinnen wär ich bereit, zumWolf selbst zu vertieren, ach, wollte Lotte meinWolfsmädchen werden! Darum ist mirWildheit sogar willkommen und jede Hemmungslosigkeit recht.
– Weil Ihr im Innern hemmungslos seid, hat derWolf Euch auserwählt, antwortet dasWeib, als lese es mühelos meine Gedanken. Charlotte aber steht außerhalb solcherWildheit, sie lebt in ihrer zurückgezogenenWelt, in die einzudringen Euch wohl gelingen mag, doch um den Preis nur ihresTodes!
– IhrTod! ruf ich erschrocken.Wie könnte ich ihr denTod bringen, da ich den Himmel für sie wünsche?
– Und letzte Nacht? Habt Ihr’s da nicht fast getan, wolltet Ihr sie nicht umbringen?
– Nimmermehr!
–Was war es mit Eurem Gelüst, Charlotten wie einWild zu erlegen, zu zerfleischen, Euch einzuverleiben?
Ein schiefes Lächeln entstellt das Gesicht der Frau, sie hat den Hosenbund mir gelockert, zieht vorsichtig daran, bis die blutige Stelle erscheint.
–Woher weiß sie das alles,Weib!
– Ich bin die Dienerin des Grafen.Von seinerWelt aus kann er lesen, was in derWelt der Lebendigen geschieht.
– Ist der Graf also tot?
–Tod, Leben? sagt sie milde. Ich kenne denTod, bin eine alte Magd von ihm. Man überschätzt ihn.Wir kommen aus dem Dunkel und gehen ins Dunkel, dazwischen liegen manche Erlebnisse, dochAnfang und Ende sind weitgehend unbekannt.
– In diesem Zwischenreich wandelt der Graf? Und in dies Zwischenreich soll ich selbst eingehen?
Ich sehe zu, wie sie die notdürftig befestigte Klammer aus meinem Fleisch entfernt, einen Lappen nimmt und den Sud aufstreicht. Sogleich ist mir derWundschmerz genommen, ich fühle Kühlung, die ich fürAnzeichen von Heilung nehme.
– EureAufgabe istVerzicht, sagt sie. Ihr werdet zumWerwolf um den Preis eines Opfers. Indem Ihr Euch überwindet, Lotten in Frieden zu lassen, wird die dunkle Seite desWolfes gebannt, und die hellichte tritt hervor. Nur so werdet Ihr ein Geschöpf des Heiles, das, mit großer Macht ausgestattet, Gutes tun wird, statt blutrünstig zu morden.
Die Frau sieht mich abgrundtief an. Mir ist, Wilhelm, als hätte sie mit wenigen Sätzen mein ganzes Leben vor mir ausgebreitet, ich spüre eine unüberwindliche Wahrheit darin, die mein Weh vollends macht. Es ist offenbar: Charlotte ist nicht für mich, wird nie die meine sein. Aus vielen Zeichen, die ihr Sein umgeben, hätte ich es längst ablesen können, nun ist es kein Gaukelbild mehr, das der Teufel Hoffnung zu überwinden trachtet, jetzt wird es Auftrag und Bestimmung, Lotten für immer zu lassen.
Ich bedanke mich bei der heiltätigen Frau, frage nichts fürder,
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