Werther, der Werwolf - Roman
Logik mit den unsichtbaren Schwingungen der Eingebung zu vereinen vermöchte? Ein nüchterner Kerl wie er, bei dem zwei und zwei immer vier ergibt – könnte er den rechten Rückschluß ziehen und das Geheimste aufdecken, das derWald birgt: denWolfsmann, denTiermenschen?
– Unglaublich, aber wahr, gebe ich mich harmlos. – Nun laßt uns von anderem reden.
Abschied zu nehmen bin ich gekommen,Wilhelm, hatte vor, der Holden mit großer Geste Lebewohl zu sagen – doch was sollte es fruchten? Still und dankbar will ich statt dem die Minuten hinbringen mit ihr, die mir eineWelt des Gefühls eröffnet, und will gehen, ohne daß sie ahnt, es sei das letzte Mal.AuchAlbert will ich danken für seine Existenz, denn da ich unaufhaltsam abgespalten werde vom Menschsein, muß ich mich freuen, daß es ihn gibt, den Redlichen, der Lotten auf ihrem Lebensweg ein Kamerad sein wird. Keine Gefühlsaufwallung jetzt, entschließ ich mich, heiter und leicht will ich scheiden, als wäre es ein unter vielen Malen, als ritte ich nicht in die Ferne, sondern wie jedenAbend an meinen Herd nach Hause, um morgen wiederzukehren.
Wir reden über kleine Geschehnisse desTages, bis Lotte aufsteht. –Wir wollen fort, sagt sie und meint, daß es zumAbendbrot geht, und daß ich, wie viele Male davor, geladen bin. Daß wir danach am Feuer sitzen, uns unterhalten werden, als wär es das Natürlichste, die Jungfrau, der Bräutigam und der Hausfreund.Weder Lotten nochAlbert haben begriffen, daß ich inWahrheit der Buhle bin, derWidersacher, daß ichTeufelei, Unfrieden, unerlaubte Sehnsucht und lüsternenTaumel ins Jagdhaus bringen wollte. Sie können es nicht wissen und sollen es nimmermehr.
– Lotte! Ich nehm ihre Hand.Wir werden uns wiedersehen! hier und dort wiedersehen! Ich kann nicht weiterreden,Wilhelm, muß sie nicht erspüren, wie mir’s zumute?
–Wiedersehen werden wir uns, ich würge an meinenTränen, unter allen Gestalten werden wir uns erkennen. Ich gehe, gehe jetzt, gehe willig, sage ich, doch als ich sagen soll auf ewig , halte ich es nicht aus, laß ihre Hand los und ergreifeAlberts.
– Leb wohl,Albert! auch wir sehn uns wieder.
– Morgen schon, versetzt Lottchen scherzend.
Ich fühle das Morgen als unerträglich bleiern Gewicht auf meine Seele sinken, werde ich morgen doch der nicht mehr sein, der Lotten, wenn auch ohne Hoffnung, so doch bedingungslos lieben darf, werde ein anderes, Neues sein, das mir so unbekannt ist wie Bewohner von einem fernen Stern.
Sie gehen dieAllee hinaus, ich stehe, sehe ihnen nach und werfe mich auf die Erde, weine und springe auf und lauf auf dieTerrasse zu, sehe unten im Schatten der hohen Bäume noch ihr weißes Kleid nach der Gartentür schimmern, strecke meineArme aus – und sie verschwindet. Hinter mir hör ich ein schweres Seufzen, Nero ist es, die hellenAugen zu mir erhoben: Nun hast du das Schwerste getan, sagt sein Blick. Der Dämonenwolf nimmt mich mit, er wird mein Führer sein im Ungewissen.
Am 11. Juni.
Dir dank ich, Bruder, daß ich dasAnerbieten des Gesandten in kürzester Frist nun doch annehmen durfte. Da ich die Zeit, die mir als Mensch noch bleibt, nicht in Einsamkeit hinbringen will, scheint mir das Sinnigste, in offiziellerAngelegenheit unterwegs zu sein.
Gestern sind wir angelangt, der Gesandte ist unpaß und wird sich denTag über nicht zeigen.Wenn er nur nicht so unhold wäre; mit ihm ist mir die nächste harte Prüfung zugedacht. Ein wenig leichteres Blut würde mich seine Gegenwart besser ertragen lassen, doch mit dem Blut, Dir ist’s bekannt, hat es bei mir seine Bewandtnis.Vergiftet, wie das meine, ertrag ich den Schwadronierer nur unterAnspannung, den tumbenTropf, der mit seinem erbärmlich bißchenTalent in behaglicher Selbstgefälligkeit auftritt. Ich dagegen verzweifle an meiner wachsenden Stärke, an meinen ins Übermaß geschärften Sinnen! Genug, es ist entschieden, ich steh in Diensten, Deiner Fürsprache dank ich es, so sei auch bedankt.
Geduld! Es wird besser werden. Denn ich sage Dir, Lieber, seit ich unter demVolk umgetrieben werde und nicht länger in einsamer Hütte brüte, seit ich sehe, was sie tun und wie sie’s treiben, stehe ich besser mit mir selbst und meinem Schicksal.Wenn man den Menschen anschaut, wie er Dummheiten redet, kaum daß er das Maul auftut, wie er sich mit jeder lächerlichsten Leistung spreizt und sein Dasein gewichtig machen will, wo es von der Nährsaugung bis zum Hinscheiden unbedeutender kaum sein könnte, wenn man
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