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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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ihn also auf Schritt undTritt beobachtet, den Menschen, so scheint es mir nicht mehr zum Übel, einTier zu werden, dämonisch oder nicht, da dieser Existenz eine entscheidende Eigenart abgeht – die Lüge.Weder Baum noch Blume, wederWolf noch Marienkäfer sind imstande zu lügen: das,Wilhelm, nehm ich als die Moral, die die Natur mich lehrt. Ich weiß, daß auch imTierreich geprahlt wird – wenn die Brunftzeit naht oder wenn sich ein unterlegenesWassertier, um nicht gefressen zu werden, als Seelilie tarnt, wenn der Laternenfisch sein Licht anknipst, um neugierige Beute anzulocken – doch es geschieht zur Erhaltung derArt! Der Mensch aber lügt und prahlt und verstellt sich, nur weil derTag lang ist! Jener, der denWeibern nachgeifert, stellt sich als frömmelnder Bibelmann dar, die liebenswürdige Matrone wird zurVerleumderin, kaum daß ihr einer den Rücken kehrt.
    Wahrhaftig will ich einWolf sein, wenn ich die Menschen sehe, ein stolzer, starkerWolf, gefährlich, fürchtenswert und darob alleingelassen. Ich will dieTiefe des Dämonenwolfes erreichen, der in andere hineinschaut, ihren Falsch, auch ihr Elend erblickt und zu heilen vermag. Kaum bin ich meiner Einöde entronnen und in der schlüpfrigen Lebewelt der Menschen angekommen,Wilhelm, schenke ich der guten Heilerin Glauben, die mein Schicksal alsAuserwähltsein, als einenAdelsschlag, keinen Fluch mir offenbarte. Ich geb ihr, geb auch dem Grafen von W . recht, bin voll der Freude, bald einzuziehen in ihren Kreis und dem Pesthauch der Städte enthoben zu sein.

Am 13. Juni.
    Der Gesandte macht mir viel Verdruß, ich habe es vorausgesehen. Er ist der pünktlichste Narr, Schritt vor Schritt und umständlich wie eine Base, ein Mensch, der mit sich selbst ewig zufrieden, doch mit keinem anderen. Ich arbeite gern leicht weg, Du weißt es, weil ich dergestalt zu bestem Ergebnis komme, doch er ist imstande, mir einen Aufsatz zurückzugeben und zu sagen: Er ist gut, aber sehen Sie ihn durch, man findet immer ein besseres Wort, eine reinere Partikel. – Da möchte ich des Teufels werden, möchte den Gesandtschaftssekretär, den ich abgebe, gegen die Wand schleudern, das Wolfsvieh aus mir hervorholen und dem Hofbeamten an die Gurgel fahren, möchte sein höfisches Genick brechen spüren! Kein Und , kein Bindewörtchen darf, ging’s nach ihm, außenbleiben, und von allen Inversionen, die ich erfunden, ist er ein Todfeind. Wenn man seine Formulierungen nicht nach der alten Melodie herorgelt, versteht er gar nichts darin. Das ist ein Leiden, mit so einem Tüpfelchenreiter zu tun zu haben, und das mir, einem angehenden Wolf!
    Geschieht es die seltenen Male, daß der Gesandte und ich an einThema streifen, das angetan ist, den Geist zu erweitern, bleibt das Metier seinem Gehirn ein spanisches Dorf, meist empfehl ich mich rasch, um nicht über weiteres Deraisonnement noch mehr in Galle zu geraten. Im Grund bist Du daran ja schuld, besterWilhelm, der Du mich in dies Joch geschwatzt und mir so viel vonAktivität gesungen hast. –Aktivität! daß es zum Lachen!Wenn nicht derjenige mehr tut, der Kartoffeln anbaut und sein Korn aussät, als ich in jetziger Stellung, so will ich zehn Jahre mich auf der Galeere abarbeiten, auf der ich angeschmiedet bin.
    Doch es ist ja nicht, soll nicht sein! ich vergeß es manchmal; keine zehn Jahre – inWochen wird meine Strampelei nur noch gerechnet, mir aber scheint es wie das Zeitmaß des unglücklichen Sisyphos! Und dann die Langeweile unter der garstigen Beamtenschar, die Rangsucht, wie sie gieren, einander ein Schrittchen abzugewinnen! Der elendsten, erbärmlichsten Leidenschaften werde ich hier Zeuge.Was das für Menschen sind, deren ganze Seele auf dem Zeremoniell ruht, derenTrachten jahrelang dahin geht, wie sie um einen Stuhl weiter hinauf beiTisch sich schieben wollen. Dabei häufen sich wichtigsteAngelegenheiten auf ihren Schreibplätzen, weil sie über denVerdrießlichkeiten bezüglich Beförderung von den wichtigen Sachen abgehalten werden. DieToren, die nicht sehen, daß es auf den Platz nicht ankommt, und daß der, der den ersten hat, selten die erste Rolle spielt.Wie mancher König wird durch seinen Minister, wie mancher Minister durch seinen Sekretär regiert! Der ist der Erste, dünkt mich, der so viel Gewalt oder List hat, die Kräfte der anderen zurAusführung seiner größeren Pläne einzuspannen.
    Spricht derWolf aus mir oder sind es meine Menschenreste,Wilhelm? Ist es bloß Überheblichkeit von einem, der insAlte

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