Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
lächerlichste Lüge erfinde ich, dem Postboten mein Brieflein noch zu entlocken. Er starrt beeindruckt den höfischen Edelmann an, der ich hier worden bin, mit demWappen der Gesandtschaft amAufschlag und am Zaumzeug. Darauf gibt es ein unerquickliches Suchen und Graben in denAngelegenheiten fremder Leute, bis ich mein Papier endlich am Petschaft erkenne, den Brief herausreiße und an die Lippen drücke. – Das ist er! ruf ich, während der Beamte mich argwöhnisch mustert. Ich kann Dir sagen,Wilhelm, ich hätte den Brief nimmermehr rückgegeben, und wäre die fürstliche Postverwaltung sämtlich mir hinterhergesetzt, und hätte der Fürst mit Kanonen auf mich schießen lassen.
    Ich danke dem verwirrten Postillon, galoppier davon, hetze in mein Zimmer, und noch eh ich von derAufregung zur Ruhe gekommen, verbrenn ich das unselige Schreiben mit aller Feierlichkeit im Ofen.Was hätte es gefruchtet, frag ich, erleichtert und ermattet in meine Kissen sinkend, Lotten die Offenbarung meines wahren Ich zuzumuten? Sie soll auch fürderhin ihrenWerther gesittet draußen in derWelt glauben, einem Ort, der ihm selbst nicht schaler und freudloser scheinen könnte. Manchmal steh ich vor dieserWelt wie vor einem Raritätenkasten, sehe die Menschlein und Rösslein herumrücken und muß mir sagen, ich spiele deren unsinnigenTanz auch noch mit. – Leb wohl, Lieber, mir ekelt vor mir selbst.

Am 20. Juni.
    Ich habe einenVerdruß gehabt, der mich von hier wegtreibt. Es muß ja so sein, ich erkenne Richtigkeit darin, und doch knirsch ich mit den Zähnen.Teufel, Du bist an allem schuld,Wilhelm! der Du mich sporntest und triebst und quältest, mich in einen Posten zu begeben, wo ich ja doch eine Bestie werden muß.Was wundert’s Dich, wenn ich mich wie eine gebärde?
    Nun habe ich’s! nun hast’s auch Du. Daß Du mir nicht wieder sagst, meine überspannte Phantasie hätte mir alles verdorben – krude, blutigeWahrheit ist es, was mich vom Hofe treibt, fort vom Fürsten, der mich liebt, und der doch nach demVorgefallnen seine gütige Hand von mir abziehen muß. Lies also die Erzählung meines gesellschaftlichen Untergangs, nett und plan, wie ein Chronikenschreiber das aufzeichnen würde.
    Ich war beim Fürsten zuTafel an demTag, da abends die noble Gesellschaft von Herren und Frauen bei ihm zusammenkommt, von der ich dachte, ein Sekretär wie ich gehörte da nicht hin. Doch der Fürst will es, drum speis ich bei ihm, rede sogar mit ihm höchstselbst, die Stunde rückt heran, da die Gesellschaft sich plaudernd im Salon ergetzt, und ich denke weiß Gott nichts Böses.
    Da tritt herein die übergnädige Dame von Q. mit ihrem Herrn Gemahl und dem wohlausgebrüteten GänsleinTochter, mit der flachen Brust und dem niedlichen Schnürleibe, zu dritt machen sie ihre hochadeligenAugen und Naslöcher, und obgleich mir solches Getu von Herzen zuwider ist, muß ich doch erkennen, daß das töchterliche Gänschen eine unverkennbare Ähnlichkeit hat – mit Charlotten! Zwar belächle ich den Fall, daß jemand Lotten vonAnsehen ähneln, ihr aber um Himmelsklafter entfernt bleiben und niemals gleichen kann.Auch wenn äußerlich Stirn und Lippen, Kinn und Haar Lottens Silhouette sprechend nachformen, fehlt der jungen Q. gänzlich ihr Geist, ihreTiefe, die schlichte Größe des Engels aus dem Jagdhaus, den ich schmerzlich vermisse.
    Es scheint jedoch, als ob das heranwachsende Tier in mir sich von dem Vexierbild Lottens täuschen läßt und hervorbricht, obgleich Vernunft und Verstand Werthers erkennen, wie fern die Ähnliche der wahren Lotte ist. Etwas von mir sieht dort Lotten stehen, der Wolf sieht Lotte, wittert sie und vermag nicht an sich mehr zu halten. Der Wolf will hervor!
    Wilhelm! ich bin umgeben vonAdelsgeschlechtern des Fürstentums, der Regent selbst, seine Gemahlin, sein hinkender Bruder, die Schranzen und Speichellecker, die Ämterschleicher, die Jawohlsager sind zum Jour fixe des Fürsten erschienen, geschnürt, unter hohen Perucken, parfumiert und drauf aus, jede Blöße, die sich ein anderer gibt, weidlich auszunutzen zu eigenemVorteil. Und da wird unter ihnen einer zumWildtier! Nicht beim erstenAnsehen, niemand erwartet etwas soTierisches in diesem Kreis, doch ich spüre, was nun geschehen wird, spür’s knacken und brechen, sich winden und hervorquellen – seh meine Hände, denen Klauen entsprießen, fühl die schwarzeWolle unterm Plastron, wittre plötzlich tausendmal intensiver, daß die Parfums undWässerchen, auch die

Weitere Kostenlose Bücher