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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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mich sähen, meine Beste, wie ausgetrocknet meine Sinne werden; nicht einenAugenblick der Fülle des Herzens, nicht eine selige Stunde! nichts! nichts! DesAbends nehme ich mir vor, den Sonnenaufgang zu genießen, und komme nicht aus dem Bett; amTag hoffe ich, mich des Mondscheins zu erfreuen, und bleibe in meiner Stube. Ich weiß nicht, warum ich aufstehe, warum ich schlafen gehe. Das innere Beben, das sonst mein Leben in Bewegung setzte, fehlt hier; der wilde Reiz, der mich durch tiefe Nächte munter hielt, der mich beim ersten Dämmer aus dem Schlaf geweckt, ist weg. Seit ich von Ihnen gewichen, bin ich artig worden, weil ich nicht anders kann und darf, dabei sehn ich mich aus dem Getümmel der gesittetenWelt, und wenn ich es, wie heute, anstellen kann, aus den engen Gassen hinauszukommen in freie Flur, verphantasier ich so manche Stunde in ländlichen Szenen von ungetrübter Glückseligkeit – ach, und von Ihnen, Lotte!Wie oft hab ich Ihnen in solchen Stunden gehuldigt! O säß ich zu Ihren Füßen, in dem lieben vertraulichen Zimmer, und unsere kleinen Lieben wälzten sich um mich herum, und wenn die Bande Ihnen zu laut würde, wollte ich sie mit einem schauerlichen Märchen zur Ruhe um mich versammeln.
    Ein Märchen ist es, Lotte, und ein schauerliches gewiß! Dartun muß ich es in der ärmlichen Stube, wo mich dieWirtsleute komisch ansehen, weil ich so gierig schreibe, als müßt ich hineinkriechen in den Bogen, der mich zu Euch führt, Lotte, zu Dir!
    Der Sturm ist abgezogen, draußen geht die Sonne herrlich unter, und wie es dunkelt in der Welt, wächst auch die Dunkelheit in mir. Nur ist meine heranrückende Finsternis nicht die gottgegebene, die dem Menschen Schlaf bringt, Erheiterung im Traum, es dämmert die Schreckensvision einer gottlosen Hölle herauf, in die ich eingehen werde, eingehn muß, Lotte! da es kein Wesen gibt, das mich befreit.
    Nur im Märchen, ja! da tummeln sich Jungfrauen, erbarmen sich der verwunschenen Prinzen, erdulden jede Pein, selbst den eigenenTod, um den Bann desVerfluchten zu brechen und, in letzter Minute errettet, von ihm zum Dank als königliche Braut heimgeführt zu werden.Wohl gibt es in meinem Herzen so eine Jungfrau, doch sie ist fern, ist einem anderen versprochen und ihm von Herzen zugetan. Sie wird den Fluch für mich nicht bannen, mich heimzuholen an Gottes Gestade!
    Zur Hölle muß ich fahren, Charlotte! Ein Geschöpf der Unterwelt werd ich, gleich dem erbarmungswürdigen Zerberus – o schilt mir den Höllenhund nicht grausam! angekettet ist er ja, die Unterwelt zu bewachen, freiwillig tut er es nicht, ein abscheulicher Gott hat ihn dazu verdammt. So steht’s mit mir, Lotte! ein Fluch, der mein Blut durchtränkt, zwingt mich ins Joch, in den Abgrund, wovor mich ängstet. Der Abgrund ist tief, die Hölle groß, sie wird stündlich größer. Lotte! rette mich, komm und führ mich hinweg, laß uns zusammen in schneebedeckte Einöde fliehen, wo sich die Hitze meines Blutes abkühlt und ich Dir als der wahre Werther gegenübertrete, nicht Werther, der Wahnsinnige. Zu dem werde ich allmählich: heute kann ich über meinen Zustand noch urteilen, morgen ist mir die Macht der Selbstbetrachtung nicht mehr gegeben. Morgen wird man mich in den Käfig sperren, den Menschen zur Abscheu, angegafft, angespien, aber ich selbst muß mich ja in den Käfig sperren, den Käfig der Sittsamkeit, der Mittelmäßigkeit, der tumben Redlichkeit. Wie geht es Albert? Ist er bei Ihnen? Haben Sie und er – –
    Gott verzeih mir’s,Wilhelm, so einen Brief geschrieben zu haben! Das arme Mädchen um Haaresbreite so zu erschrecken, ihr alleAchtung, alle liebe Erinnerung an mich, dem in der Ferne Geglaubten, Geachteten, dem künftigen Gesandten und Geheimrat, zu nehmen. Ich tat es nicht, Freund, sei nur ruhig.
    Zur rechten Zeit konnte ich den Irrwitz ungeschehen machen. Ich hatte den Brief gesiegelt und dem Postillon schon übergeben, da überkam’s mich mit Macht, und – darf ich es heilsameVernunft nennen? ich sattle auf und presche der Postkutsche hinterher. Erreiche sie hinter demWald von S. und berede den guten Mann: Ein Mißgeschick, ich fabuliere vonVerwechslung, falsche Nachricht sei an falschen Empfänger adressiert, wichtigste Depesche politischen Inhalts, dasWohl des Fürstentumes stehe auf dem Spiel, an ihm, dem Postkutschenlenker, liege es, die Malaise einzurenken. So viel zur Lüge,Wilhelm, der Erbsünde des Menschen, der ich, der zumWolf Geadelte, mich enthoben fühlte. Die

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