Werther, der Werwolf - Roman
darauf zu genießen, noch weniger, drunter zu ruhn.
Wo ich hin will? fragst Du, frag ich mich unausgesetzt. Kenn ich dieAntwort doch.Von hier aus, habe ich mir zurechtgelegt, ist es keinWeites mehr, daß ich die Bergwerke im * *schen besuchen kann, so mach ich’s mir zumindest weis. Ist aber im Grunde nichts daran, ich will nur Lotten wieder näher, das ist alles. Dahin ist mein Gelübde, sie zu lassen und mich in weiteste Distanz zur Schönen zu begeben. Der Magnetberg kommt mir zu Sinn, ein ungehorsamer Schiffer bin ich, der den gefährlichenAnziehungsort nicht meidet, wie er soll, lieber untergeht, als dem verheißungsvollen Berge abzuschwören. Ich habe mich bemüht,Wilhelm, redlich bin ich im Hamsterrad gelaufen, doch wie Petrus, der, ehe der Hahn dreimal gekräht, den Heiland verriet, verrate ich meinen Schwur, eh sich der Mond zum dritten Male füllt. Ich lache über mein eigenes Herz – und tu ihm seinenWillen.
Am 25. Juni.
Nein, es ist gut! ist alles gut! – Ich – ihr Mann! O Gott, der du mich machtest – o Dämon, der mich zerstört, wenn du mir diese Seligkeit bereiten würdest, mein ganzes verbleibendes Leben sollte ein anhaltendes Gebet sein – ob an geheiligtem oder unheilgemAltar, mir wär es einerlei, wo ich bete! Ich will nicht rechten, verzeihe mir dieseTränen, verzeihe mir meine verderblichenWünsche! – Sie meine Frau!Wenn ich das liebste Geschöpf unter der Sonne in meineArme schlösse – es geht mir ein Schauder durch den ganzen Körper.
Darf ich es sagen? Warum nicht! Sie würde bei mir glücklicher werden als mit ihm! Albert ist nicht der Mensch, die Wünsche dieses wilden Frauenherzens zu erfüllen! Ein gänzlicher Mangel an Fühlbarkeit hängt ihm an, ein Mangel, daß sein Herz nicht aufwallt bei Eindrücken wie einem undurchdringlichen Wald, einem Blitzstrahl, einer zertretenen Kröte, in der die Ameisen wühlen. Albert liebt Lotten von ganzem Herzen, doch keine Leidenschaft vermag je größer zu werden als das Herz, dessen sie sich bemächtigt – und Alberts Herz, das weiß ich, ist zu klein für das Charlottens. Meins dagegen wär imstande, das Wunder ihrer Person in sich aufzunehmen.
MeineTränen sind getrocknet, ich gehe, sie wiederzusehn.
Desselben Tages.
Alle Menschen werden in ihren Hoffnungen getäuscht, in ihren Erwartungen betrogen.
Unterwegs zu Lotten traf ich ein mir bekanntes jungesWeib unter der Linde. Sie sah niedergeschlagen aus, ihr erstesWort war: Guter Herr, mein Hans ist mir gestorben. Er war der jüngste ihrer Knaben. – Und mein Mann, sagte sie, ist aus der Schweiz zurück und hat nichts mitgebracht, hatte sich herausbetteln müssen, er hat das Fieber unterwegs gekriegt.
Ich konnte ihr darauf nichts sagen und schenkte dem Kleinen etwas, sie bat mich, einige Äpfel anzunehmen, was ich tat und den Ort des traurigen Andenkens verließ. Wie ich weitergehe, ist mir’s mit einem Mal, als wollte der freudige Blick des Lebens mir wieder aufdämmern. Nur für Augenblicke. Während ich mich in diesem sekundenhaften Glück verliere, kann ich mich des Gedankens nicht erwehren: Und wenn Albert stürbe? Wenn er gar schon gestorben wäre in den Wochen, die ich dem Landkreis fern? Viele sterben, Wilhelm, ohne die Mühn und Qualen einer Krankheit an sich heranzulassen, verabschieden sich in aller Schlichtheit, als sei ihnen gar nichts am Leben gelegen. Beim einen ist’s das Herz, das wie ein vergeßlicher Scholast zu schlagen vergißt, ein unumkehrbarer Ausfall des Gehirns ist es beim andern. In diesem Moment noch da, sind sie Teil des Lebendigen, und schon im nächsten – sie mögen ihr Glas gehoben oder ein Lied geträllert haben, oder nur der Verdauung stattgeben – da durchfährt sie die Schwärze!
Jeder von uns erlebt dasAusschließen derWelt in einem fort, nämlich wenn wir mit denWimpern schlagen. So hell und klar einTag uns scheint, schließen wir blinzelnd die Lider, ist er verschwunden, für den Moment. Gleich öffnen wir sie wieder, dann ist auchTag undWelt wieder um uns.
Wenn aber die Umnachtung von Dauer ist, wenn Gott sagt, jetzt bist du , Freund, jetzt bist du gewesen, so muß es sein.Warum sollte es mitAlbert nicht genauso sein?Wär’s so, würde ich in den Park des Jagdhauses treten, Lottchen liefe mir nicht inWeiß entgegen, sondern käme gemessenen Schrittes, von oben bis unten schwarz gekleidet, bleich würde sie dasAuge zu mir heben, die Pupille vom Schmerz verdunkelt, und sagen:Werther, guterWerther,Albert ist tot.
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